Bilanz mit Schönheitsfehlern

Calvi erhängt, Sindona vergiftet –der Vatikan tat, als sei nichts gewesen

AUS ROM MICHAEL BRAUN

Als das Testament Johannes Pauls II. veröffentlicht wurde, da hielt sich die Spannung einigermaßen in Grenzen. Niemand fragte vorher, wer wohl vom Papst bedacht würde. Irdische Güter, hieß es gleich, habe der Heilige Vater sowieso nicht zu vererben, lediglich ein „spiritueller Nachlass“ sei da zu erwarten – und so war es dann auch. Vorbei sind die Zeiten des Mittelalters, der Renaissance, als geldgierige Päpste den Vatikan nutzten, um ihre privaten Schatullen zu füllen, und – Stichwort Nepotismus – angebliche Nichten und Neffen, die auch schon mal die eigenen Kinder waren, mit Kardinalswürden und Kirchengütern üppig zu versorgen.

Papst zu sein ist heute kein Job mehr, mit dem man reich werden kann. Natürlich ist es ein Amtsgeheimnis, was der Heilige Vater monatlich so kriegt. Im Jahr 2001 sagte Kardinal Sergio Sebastiani, „Finanzminister“ der Kurie, auf der Bilanzpressekonferenz des Vatikans, er „glaube“, dass der Papst ein Gehalt beziehe, das sei doch „eine normale Sache“. Gleich darauf folgte aber die Klarstellung der Presseabteilung, ein Gehalt im gewöhnlichen Sinne sei das natürlich nicht, und der Papst spende so gut wie alles für wohltätige Zwecke, und überhaupt, seit er im Amt sei, habe er kein Bargeld mehr in der Hand gehabt.

In der Tat fällt es schwer, sich den Papst beim Shopping vorzustellen oder auf der Post, wie er ein paar hundert Euro aufs Sparbuch einzahlt. Ein bisschen was hinterlässt er seinem Nachfolger aber doch: nämlich gleich den ganzen Vatikan.

„Bloß nicht überschätzen!“, rufen da aber gleich die Prälaten der Kurie. Auf dem Papier sei der Petersdom, seien die anderen Papst-Basiliken und -Paläste natürlich Unsummen wert, genauso wie die in den Vatikanischen Museen angehäuften ungeheuren Kunstschätze – aber zu Geld machen könne man das natürlich nicht. Gemessen an jedem Großunternehmen, gemessen erst recht an den Etats anderer Staaten ist der Vatikanhaushalt in der Tat eine bescheidene Angelegenheit.

Wie es sich für das doppelköpfige Wesen – ein veritabler Staat, der zugleich Zentrum einer Weltkirche ist – gehört, präsentiert sich die Bilanz gespalten: Einerseits ist da der Etat des Heiligen Stuhls (sprich der katholischen Kommandozentrale), andererseits der des Vatikanstaates. Im Jahr 2003, dem letzten, für das Zahlen vorliegen, machte der Heilige Stuhl ein Minus von 9,5 Millionen Euro. Mit seinen Ausgaben von 213 Millionen finanzierte er die Kurie: das Staatssekretariat, die Kongregationen, die päpstlichen Tribunale und Räte, die 118 Nuntiaturen im Ausland, bezahlte er die Gehälter von 2.674 Beschäftigten.

Nicht viel besser sah die Bilanz des Vatikanstaates aus, der zuständig ist für den „Unterhalt des Territoriums“ ebenso wie für das Vatikanradio, die Zeitung Osservatore Romano, die Druckerei und den Buchladen und sich die ebenfalls ziemlich bescheidene Zahl von 1.534 Beschäftigten leistet. 8,8 Millionen Euro Minus erwirtschaftete dieser Staat. Es sieht schlecht aus, möchte man meinen, wäre da nicht ein dritter Posten: der Peterspfennig, die Zuwendungen der Gläubigen aus aller Welt für den Heiligen Vater. Die schickten dem Papst im Jahr 2003 55,8 Millionen Euro.

Peanuts, würde ein deutscher Bankvorstand sagen. Peanuts auch für den Vatikan, denn die für eine Weltkirche mit einer Milliarde Gläubigen geradezu lächerliche Bilanz hat gleich mehrere Schönheitsfehler.

Erstens nämlich sind die im Vatikan bilanzierten Gelder natürlich nicht der Etat der Weltkirche. Die Diözesen genauso wie die hunderten Orden wirtschaften auf eigene Rechnung. Die vier Milliarden Euro Steuereinnahmen der deutschen katholischen Kirche tauchen da ebenso wenig auf wie die eine Milliarde, die an Kirchensteuer in Italien fließt. Ebenso wenig werden in Rom aber auch die Negativposten verbucht, etwa die hunderte Millionen Dollar Schadenersatz, die US-Diözesen an Pädophilieopfer zahlen mussten.

Zweitens tauchen wichtige Einnahmen gar nicht auf. Darf man den veröffentlichten Bilanzen glauben, dann finanziert sich der Vatikan vor allem aus den Eintrittsgeldern seiner Museen, aus dem Verkauf von Briefmarken oder von den Euro-Sammlermünzen mit Papstkonterfei. Nicht aufgelistet sind dagegen die regelmäßigen, „freiwilligen“ Zuwendungen der Diözesen. Was die so nach Rom zahlen, weiß nur der Herr.

Drittens schließlich bescheiden sich die Vatikanbilanzen mit der unvollständigen Auflistung der laufenden Einnahmen und Ausgaben. Zwei ziemlich interessante Buchungsposten dagegen kennen sie gar nicht: Vermögen und die aus dem Vermögen entstehende Rendite. Was da so rumkommt, weiß auch nur Gottvater. Das verfügbare Vermögen des Heiligen Stuhls in vermieteten Immobilien, Aktien und Anleihen wird auf etwa 700 Millionen US-Dollar geschätzt.

Seit 1870 hat der Vatikan seine Finanzverwaltung den modernen Zeiten angepasst. Damals nämlich war Schluss mit der weltlichen Herrschaft im Kirchenstaat: Das Königreich Italien eroberte Rom und machte den Papst einerseits zum bloß spirituellen Herrscher, andererseits zum schnöden Kapitalisten. Einem Kapitalisten, der reichlich Ländereien und Barvermögen hatte – und der zugleich fürchtete, der italienische Staat wolle an diese Reichtümer gelangen. Also begann die internationale Anlegerei, der Kauf von Aktien rund um den Erdball und die Schaffung der dazu nötigen päpstlichen Einrichtungen.

Zwei vor allem sind es, die sich um das Geld kümmern: Da ist einmal die APSA, die Vermögensverwaltung des Apostolischen Stuhls, faktisch die Zentralbank des Vatikanstaats. Sie prägt die Münzen, sie hält vor allem aber Gold- und Devisenreserven, im Vatikan, aber auch in der Schweiz und den USA. Wie hoch die Reserven sind? Betriebsgeheimnis. Experten tippen auf mehrere Milliarden Euro.

Vermögen und Rendite – was da so rumkommt, weiß Gottvater allein

Da ist auf der anderen Seite das IOR, die Geschäftsbank des Vatikans mit dem frommen Namen Istituto per le Opere Religiose – Institut für religiöse Werke. Das IOR ist die wahre Schaltstelle der laufenden Geschäfte, wenn es mal nicht um den Verkauf von Briefmarken und Heiligenbildchen geht. So richtig kam die Geschäftstätigkeit des Vatikan 1929 in Schwung: Da schloss Benito Mussolini ein Konkordat, das den seit 1870 anhaltenden Zwist zwischen Papst und italienischem Staat endgültig beendete. Die 44 Hektar Vatikan wurden zum Staat – und damit zum Offshore-Paradies für Priester. Und mehr noch: Italien zahlte eine dicke Entschädigung von 750 Millionen Lire bar plus eine Milliarde in Staatsanleihen. Das wäre heute mindestens eine Milliarde Euro.

Mit der Knete stieg der Vatikan gleich groß in den Aktienmarkt ein. Keine Branche gab es in Italien, in die er nicht investierte: Energie, Wasserwirtschaft, Waffen, Metall, Banken und Chemie. Die Prälaten waren dabei, und 1942 bündelten sie ihre Aktivitäten im IOR, der von Pius XII. gegründeten Bank. So ging es auch in der Nachkriegszeit weiter, bis Italien in den Sechzigern plötzlich Aktiengewinne mit Steuern belegen wollte. Steuern? Das regte die Kurie mächtig auf, und nachdem sie alle Prozesse verloren hatte, löste sie alle italienischen Investments auf. Seitdem dauert die mysteriöse Zeit der Vatikanfinanzen, keiner weiß mehr, wo sich der Papst mit seinem Kapital gerade engagiert.

Papst war damals Paul VI., und der holte sich einen US-Prälaten ins IOR, der aus einem Film weggelaufen schien. Der litauischstämmige Paul Marcinkus rauchte gern dicke Zigarren, in Rom wurde er vor allem auf Tennis- und Golfplätzen sowie auf Society-Partys gesichtet. Und im IOR drehte er ein großes Rad, knüpfte enge Kontakte zu zwei italienischen Bankiers: Michele Sindona und Roberto Calvi. Die waren beide stockkatholisch und christdemokratisch, hatten aber auch prima Kontakte zur amerikanischen und italienischen Mafia. Mit ihren Banken zusammen gründete Marcinkus diverse Gemeinschaftsunternehmen, verschob weltweit Gelder und spekulierte in Steuerparadiesen.

Das ging ein paar Jahre lang gut und freute den Heiligen Vater, dann aber platzten die Spekulationsblasen. Italien genauso wie die USA ermittelten, Sindona und Calvi kamen in Haft, die Mafia – die bei den beiden Betrügern hunderte Millionen Dollar in den Sand gesetzt hatte – war sauer. Calvi wurde 1982 erhängt unter einer Brücke in London gefunden, Sindona starb 1986 in Haft an einem vergifteten Espresso. Der Vatikan aber tat so, als sei nichts gewesen. Mit den Pleiten der beiden Bankiers habe das IOR nichts zu tun, hieß es von Marcinkus, der sich vor einem italienischen Haftbefehl hinter den exterritorialen Vatikanmauern verschanzte. Schließlich zahlte das IOR dann doch über 400 Millionen Dollar, „freiwillig“ und ohne Schuldeingeständnis.

Und damit das glaubhaft blieb, durfte Marcinkus noch bis 1989 an der Spitze des IOR bleiben. Dann aber wurde eine komplett neue Führung eingesetzt, unter dem italienischen Bankier Angelo Caloia. Dem sind null Informationen über die Geschäfte der IOR zu entlocken, bis auf den Hinweis, man halte praktisch keine Aktienbeteiligungen mehr und setze erst recht nicht auf hoch spekulative Titel wie Derivate und so weiter; stattdessen investiere man brav in Obligationen. Das IOR hat ganz legal die „Lizenz zum Gelddrucken“ – vorsichtig geschätzter Gewinn: 50 bis 100 Millionen Dollar jährlich. Die Dimensionen des Geschäftes aber bleiben weiter ein Geheimnis. Und womöglich eine angenehme Überraschung für den kommenden Papst: Experten sind sich sicher, dass das IOR einige Milliarden Euro schwer ist.