Zwei Menschen, eine Brille

FAMILIENBANDE Wenn sich zeitgenössische KünstlerInnen mit „Familie“ beschäftigen, dann geht es um die Darstellung intimer Beziehungsgeflechte. Oder um die Suche nach den eigenen Wurzeln

Wenn sie nicht Hasen wären, man müsste sie für Ausgeburten einer Hölle halten

Sie sind zu dritt, sitzen in einem Boot und treiben auf einem See. Vater, Mutter, Sohn. Alle drei tragen Hasenkostüme aus Stoff. Muttern hat ein rundes Gesicht, Vatern einen Schnauzbart und wenn sie reden, wippen die Stoffohren. Vater und Mutter wollen, dass der Sohn einen Wurm auf einen Angelhaken aufzieht. Der Sohn ekelt sich, der Vater rügt ihn, die Mutter auch. Muttern packt den Wurm und isst ihn. Der Sohn ekelt sich noch mehr, der Vater ekelt sich nun auch. Alle ekeln sich vor einander. Wenn die drei nicht Hasen wären, man müsste sie für Ausgeburten einer Hölle halten. Die Hölle, das ist die Kleinfamilie.

Die Szene auf dem See gehört zu einem Kurzfilm namens „Hasi“, den die Künstlerin Eva von Platen gedreht hat. Zu sehen ist er in der Ausstellung „Die Familie hält sich zurück“, die derzeit in der Lübecker Overbeck-Gesellschaft zu sehen ist. Neben dem Video sind die Arbeiten von sieben KünstlerInnen zu sehen. Fünf der insgesamt acht KünstlerInnen sind zwischen 40 und 45 Jahre alt. Alle Arbeiten beschäftigen sich mit dem Thema „Familie“, neben Videos gibt es Fotos und eine Installation.

Wenn KünstlerInnen sich mit Familie beschäftigen, dann geht es in den langweiligeren Fällen um die Suche nach den eigenen Wurzeln: Die Arbeit „Shades of Time“ etwa versammelt schwarz-weiße, eigenartig fern wirkende Familienfotos aus dem Leben der 61-jährigen Künstlerin Annelies Štrba. Meistens aber geht es in dieser Ausstellung um die Frage nach dem intimen Beziehungsgeflecht. Es geht tendenziell ans Eingemachte. Um vergleichsweise unpersönliche, gesellschaftliche Fragen, wie die Frage nach der familiären Rollenaufteilung, geht es nicht.

Familie, das sind zum Beispiel die faltigen Hände mit den roten Fingernägeln, die sich um den Hals einer ungefähr 35-jährigen Frau legen – die schwedische Künstlerin Anneè Olofsson hat ihrem Bildnis einer Mutter-Tocher-Beziehung den Namen „A Girl’s Best Friend“ gegeben. Außerdem gibt es zwei Fotoserien, auf denen Familien im Portrait zu sehen sind: Die psychologisierende „Familienaufstellung“ von Mirja Schellbach, bei der die Familienmitglieder irgendwo verteilt sind und irgendwo hinschauen. Und die auf Selbstinszenierung zielende „Familienbande“ von Heike Ollertz. Letztere zeigt moderne, akademisch-künstlerisch Familien in ihren Wohnungen, so, wie sie sich der Fotografin zeigen wollten.

Ollertz Bilder zeigen, wo der Nachwuchs innerhalb der Familieninszenierung steht. Sie zeigen unterschiedliche Grade von Individualisierung, Paare, die die gleiche Brille aufhaben und jeweils ein Kind im Arm, Familien, bei denen die Kinder nichts mit den Eltern zu tun haben, verspielte und ernsthafte Familien, verkleidete und nicht-verkleidete. Es sind Fotos, die erzählen, ohne zu intim zu werden. Die Balance stimmt.

Ganz weg von der Nabelschau geht die Künstlerin Corinna Schnitt in ihrem Video „Living a beautiful Life“. Darin erzählen ein gut aussehender Mann und eine gut aussehende Frau in den Zimmern ihres gut aussehenden Hauses von dem perfekten Leben, das sie führen. Je länger das geht, desto mehr empfindet man die Perfektion als Beklemmung. Am Ende des Videos spielen nackte Kinder in einem Garten Eden. Es ist das Paradies, aber das hilft nichts, denn der Weg dorthin ist nicht auszuhalten. Gut zu wissen. KLAUS IRLER

„Die Familie hält sich zurück“: bis 16. 8. in der Overbeck-Gesellschaft Lübeck