ausgehen und rumstehen
: Party daheim: Zettel im Hausflur und Altglas im Hinterhof

Als ich noch in dem mickrigen Studibumsloch in Neukölln wohnte, pinnte ich einmal einen Zettel in den Hausflur, auf den ich mit meinem Wackelkuli geschrieben hatte: „Liebe Nachbarn, heute feiere ich meinen 80. Geburtstag. Bitte seien Sie nicht böse, falls es etwas lauter wird, ich habe in meinem Leben nicht mehr viel zu lachen. Vielen Dank! Die kleine alte Dame aus dem vierten Stock Hinterhaus.“

Während der Party lugte ich immer wieder aufgeregt zur Tür, denn ich erwartete, dass irgendein Nachbar vorbeikommen, das mit der alten Dame überprüfen und gleich eventuelle Nachmieterschaftschancen klären wollte – versucht nicht jeder, sich akzeptable Wohnungen von alten Menschen möglichst noch zu deren Lebzeit zu sichern? Aber die stoischen Neuköllner akzeptierten den Humbug umgehend und wunderten sich wahrscheinlich nicht mal über das junge Volk und die moderne Musik, die die vermeintliche Seniorenparty im Hinterhaus aufpeppten.

Danach begann ich die Zettel zu sammeln, die Menschen in die Hausflure hängen, um die Nachbarn gnädig zu stimmen. Ich besitze eine stattliche Kollektion mit fünfzehn Exemplaren, leider fühle ich mich bei der Durchsicht meiner Schätze aber immer mehr wie jemand, der abgestempelte BVG-Tickets hortet: Die Briefe an die Nachbarn gleichen sich doch sehr. Die einzigen Kategorien, in die man sie einordnen könnte, sind „inklusive Nachbarneinladung“ und „exklusive Nachbarneinladung“.

Interessanterweise hat aber die Beliebigkeit der Partyzettel überhaupt nichts mit dem Spaßgehalt der Partys zu tun. Eine der besten Partys, auf denen ich je war, fand im Sommer 1995 in Kreuzberg statt und hat sich bei mir jedenfalls nicht mit dem eher durchschnittlichen Nachbarnzettel verewigt: „Liebe Mitbewohner, heute feiere ich meinen Geburtstag und es kann darum etwas lauter werden. Viele Grüße.“ Und ob es etwas lauter wurde! Das Küchenfenster ging zu Bruch und regnete auf den Doppelkinderwagen im Hinterhof, ein paar Gäste flitschten glühende Zigaretten auf die Kräuterblumenkästen der Vis-à-vis-Nachbarn, setzten so ein paar ekelige gartenzwergähnliche Figuren darin in Brand und versuchten, mit Bierdosen zu löschen; ein verwirrtes Neu-Pärchen übernachtete neben den Mülltonnen und wurde am nächsten Morgen dort gefunden und fotografiert. Fast die gesamte Party wurde versehentlich auf einen dieser altmodischen Kassetten-Anrufbeantworter aufgenommen, der Veranstalter erpresst seine Gäste noch heute damit. Und dass die Bullen ein paar Mal zum Verwarnen kamen und am Ende die Boxen durchbrannten, versteht sich von selbst. Ein bisschen war es wie bei dem Peter-Sellers-The Party-Film, nur mit weniger Hornbrillen. Toll! Und ich war dabei.

Das Gute kann also so nah liegen, und man spart auch noch Drink- und Taxigeld. An diesem Wochenende wollte ich eigentlich ausgehen, doch in meinem Haus fanden gleich zwei Partys statt, beide ausdrücklich mit Nachbarneinladung („wenn es zu laut wird, feiert doch mit!“). Die Dreadlocktypen machten eine Studiparty mit Kiffen und Dancehall im Dritten, da hing ich am Freitag bis zum Morgengrauen in der Ecke und unterhielt mich über Jahrmärkte, wie teuer welche Karussells geworden sind und was man schon alles Schreckliches am Schießstand und an der Losbude bekommen hat und nach Hause transportieren musste.

Am Samstagnachmittag winkten die Dreadlocktypen mir freundlich zu, als sie lautstark ihr Altglas in die Container unter meinem Schlafzimmer schmetterten, und mir blieb nichts, als gequält und solidarisch zurückzuwinken – es war ja jetzt auch MEIN Altglas irgendwie. Abends guckte ich kurz bei dem Pärchen im Ersten vorbei, da gab es Rumba und Cocktails, ich blieb aber nicht lange. So ein Wochenende zu Hause schlaucht mehr, als man denkt. JENNI ZYLKA