Alle Labels von der Stange

Zwischen frischem Elan und nackter Verzweiflung: Am vergangenen Wochenende ließen sich zwischen Spittelmarkt und Friedrichstraße sehr gut die raren Glanz- und vielen Schattenseiten des Modegeschäfts in Berlin begutachten. Ein Rundgang

VON JAN KEDVES

Häufig wird Berlin eine glänzende Zukunft als Modemetropole in Aussicht gestellt. Wäre doch was. Glamour und Stil in die Stadt locken, Geld natürlich auch. Der Fernsehturm könnte dem eitlen Treiben sein Strahlen herabsenden. Vielleicht wird tatsächlich was draus. Am Wochenende zeichnete sich allerdings erst mal ein ernüchternderes Bild: Zwischen Friedrichstraße und Spittelmarkt waren sie zu erahnen, die raren Glanz- und die vielen Schattenseiten des Modegeschäfts in Berlin, zwischen frischem Elan und nackter Verzweiflung. Es begann am Samstag in der Friedrichstraße mit einem Plakat gleich gegenüber dem Pralinenspezialisten Leysieffer: „Berliner Klamotten Salesroom Vers.02“ stand darauf und es wies in den Hinterhof. Dort, in einem von drei Seiten einsehbaren Glaskasten mit stattlicher Grundfläche, öffnete ein Zusammenschluss von vierzig Berliner Modemachern unter saloppem Namen die Tür zu einem gemeinsamen Laden. Alle Labels auf einer langen Stange. Eine Leistungsschau der Berliner Mode.

Gleichzeitig auch ein Provisorium: In zwei Monaten wird der Laden wieder Geschichte sein. Langfristige Mieter für das nagelneue Quartier 110 in der Friedrichstraße aber müssen erst noch gefunden werden, also spannt „Berliner Klamotten“ – nach einer ersten sechswöchigen Ausgabe des Salesrooms in der Rosenthaler Straße – die Stangen und Regale nun zwischen nackten Betonsäulen, auf denen noch die Bleistiftmarkierungen der Bauarbeiter zu lesen sind. Innerhalb von zwei Stunden ließe sich der Raum wieder in seinen Urzustand versetzen. Kein schlechtes Konzept.

Allerdings könnte es noch einige frische Designideen brauchen. Am Samstag ließ sich in den Regalen noch eine Vielzahl von Dingen entdecken, die man eigentlich schon längst passé gewähnt hatte: Die x-ten Kopien der Lkw-Planen-Taschen der Schweizer Marke „Freitag“ – hier gibt es sie noch mal von Labels wie „Tita Berlin“ oder „Anbo“. Bei Letzteren sogar mit aufgedrucktem – na was wohl – Fernsehturm. Oder die Restbestände, die Raver aus dem Berliner Umland vielleicht noch glücklich machen könnten – die Fallschirmspringerhosen von „Stoffrausch“, der Marke mit dem Fliegenpilz-Logo, oder die Denimshorts von „Betty Bund“, die Moonwash-Optik mit Frottee-Einsätzen kombinieren.

Den Touristen, die in der Friedrichstraße ihr Geld loswerden wollen, wird man solcherlei Techno-Tracht nicht guten Gewissens als „Berlin Style“ mit auf den Heimweg geben wollen. Auch wenn ein DJ am Samstagnachmittag über die durchaus clubtaugliche Anlage des Ladens schon passenderweise Jimi Tenors alten Love-Parade-Hit entstaubte: „Take Me Baby“ – „Kauf mich, Schätzchen!“ Dann aber doch lieber klassisch gestreifte Hemden von Jörg Pfefferkorn, Hosenanzüge von Adddress oder eine lockere Interpretation des Chanel-Standards, dem Tweed-Jäckchen, von hartbo + L?wig, die den Futterstoff unten ein wenig schluderig heraushängen lassen.

Ein paar Ecken weiter, am Spittelmarkt, im touristischen Niemandsland, wartete am Wochenende derweil der so genannte „Toll Sale“: In den Räumen einer Modeagentur fanden sich neun Berliner Boutiquen – unter anderem Respectmen, To Die For und Herz & Stöhr – zu einem Ausverkaufswochenende zusammen. In Berlin scheint man sich des Öfteren auf solche Aktionen verständigen zu können: Bereits im Januar hatten sich auf der Mitte-Flanierachse Mulack-, Münz- und Memhardtstraße die Läden A.P.C., Bless Shop, Andreas Murkudis und Apartment zu einem gemeinsamen Sale-Wochenende verabredet.

Während man bei dieser Gelegenheit durchaus kostbare Stücke ergattern konnte, wurde am Spittelmarkt eher deutlich, wie undankbar das Modegeschäft doch sein kann: Eine Saison auf die falsche Marke gesetzt, und batsch! hat man die Stangen voller Ladenhüter hängen, die dann noch nicht mal jemand kaufen möchte, wenn sie nur noch einen Bruchteil kosten sollen. Beim „Toll Sale“ versuchte man so gut es ging, davon abzulenken: Der Kronleuchter über dem Tresen versprach Glamour, die gebotenen Schnittchen darunter bemühten sich tapfer um Appetitlichkeit, doch die aufgeklappten Pappkisten mit den Lagerresten trieben den Charme aus der Tür.

Dabei lag es oft nur an Details: Das im Grunde gar nicht mal so üble Seidenhemd, das sich nur mit einem aufgedruckten Esel unmöglich macht. Der Minirock, dem an falscher Stelle ein Punk-Reißverschluss verpasst wurde. Oder das T-Shirt in aktuell saftigem Grün, das leider einen miesen Anmachspruch auf der Brust trägt. Derlei Überflüssigkeiten und Absurditäten, mit denen im Modegeschäft versucht wird, Oberwasser zu gewinnen – wenigstens eine Saison lang –, sie gab es am Spittelmarkt reichlich von den Bügeln zu ziehen. Sogar Shirts von „Bread & Butter“, der Modemesse, die der Berliner Szene als Hoffnungsträger und Reputationskurbel gilt, wurden verramscht. Da war Zwangsoptimismus gefordert: „Die Hose ist ja wie gemacht für Sie!“, bekam eine mit skeptischer Miene aus der improvisierten Umkleidekabine schlurfende Frau von der Kassenwärterin zu hören, während der gelangweilt daneben stehende Ehemann mit einem „Sie können aber toll geduldig sein!“ weich geklopft wurde. Das lange Warten auf die richtige Mode: In Berlin nimmt man es wenigstens mit Humor.