Schwabenhass verflogen

JUSTIZ Ein 29-jähriger Zeitungsausträger hat in Prenzlauer Berg Kinderwagen in Brand gesteckt. Zum Prozessauftakt gesteht er die Taten. Sein Motiv sei aber nicht Wut auf neureiche Süddeutsche gewesen

Er zündelte in den Wohnhäusern in Prenzlauer Berg. Im vergangenen Sommer steckte er innerhalb eines Monats 14 Kinderwägen in Brand, einmal auch Bananenkisten, so die Anklage. Zwei Häuser wurden durch das Feuer stark beschädigt, fünf Menschen erlitten Rauchvergiftungen, darunter drei Kinder. Mitte August wurde Maik D. auf frischer Tat erwischt, die Polizei hatte rasch einen Zusammenhang zwischen den Bränden und seinen Zeitungstouren erkannt. Bei seiner Festnahme gab Mike D. „Schwabenhass“ als Motiv an.

Das will er am Donnerstag vor dem Landgericht nicht mehr bestätigen. Es stimme schon, „dass da immer mehr Leute hinziehen, die viel Geld haben“. Aber eigentlich sei es ihm egal, wer dort wohne. Er kenne dort niemanden. Er habe sich diesen Zustellbezirk ausgesucht, weil dort viele Abonnenten wohnen und er mehr verdienen konnte. In seiner Vernehmung habe er zwar gesagt, „dass ihn die ganzen Schwaben ankotzen“ – aber nur, weil er sich von den Beamten unter Druck gesetzt fühlte, so der 29-Jährige, der in Neukölln wohnt. Er ist ein unauffälliger Mann mit rundem Gesicht und dichtem, aschblonden Haar. Bei seiner Festnahme habe er sich traurig gefühlt, aber auch ein wenig erleichtert. „Mein ganzes Leben ist über mich zusammengefallen.“ Er sehe „das hier als Chance, es zu ändern“. Die Taten gesteht er.

Vorsichtig tastet sich Richter Thomas Seifert an das Motiv. Wie es dem Angeklagten damals gegangen sei? „Schlecht“, lautet die Antwort. „Mein Leben hat mich angekotzt, weil es nicht vorwärts ging.“ Täglich habe er bis zu 18 Stunden gearbeitet: sieben Stunden als Zeitungsausträger, dann acht, neun Stunden als Bauhelfer. Anschließend verteilte er wieder zwei Stunden lang Zeitungen. „Da war nicht viel Zeit fürs Schlafen.“ Die Müdigkeit bekämpfte er mit Amphetaminen. „Da ist einem alles egal, man schiebt es vor sich hin. Man redet sich ein, dass alles schön wird. Aber es geht nur bergab.“

Was „bergab“ gegangen war, deutete D. gestern nur an: Obwohl er genügend Geld besaß, hatte er Mietschulden. Erfolglos fahndet das Gericht weiter nach einem Motiv. Wie er sich gefühlt habe, als er in das Haus gegangen sei, in dem er tags zuvor gezündelt hatte? „Das hat mir eigentlich ein bisschen leidgetan. Ich habe mich gefragt: Warum mache ich das?“ Er habe keine Antwort gewusst. Die muss man wohl in der Biografie des Angeklagten suchen. Mit dieser hat sich eine psychiatrische Gutachterin beschäftigt, die am Montag gehört wird. UTA EISENHARDT