Eisklar

Beeindruckende Eisberge und begeisterter Exotismus: Die Dokumentation „Grönland – Die gefrorene Zeit“ (ZDF, 20.15 Uhr) führt an den Rand einer zunehmend bedrohten Inselwelt

VON HANNAH PILARCZYK

Auf der Suche nach der gefrorenen Zeit machte sich Autor Christian Sterley in den Osten Grönlands auf. Gefrorene Zeit, das sollten die geologischen Informationen sein, die in Grönlands 3.000 Meter dickem Eisschild eingeschlossen sind. Doch was Sterley fand, war vor allem schmelzende Zeit – Zeit, die schneller zerfließt, als es die Menschen Grönlands vertragen.

Ein schneeweißer Sarg wird durch Sermiligaaq getragen an dem Tag, an dem Sterley mit seinem Team in dem kleinen Küstendorf ankommt. Ein Jugendlicher hat Selbstmord begangen – innerhalb der Inuit-Siedlung ein trauriges, doch fast schon vertrautes Ereignis. Am Ende des Films werden insgesamt drei Jungen zu Grabe getragen worden sein. Die Eiswelt kann ihnen kaum mehr Perspektiven bieten.

Zusammen mit dem Einheimischen Gedeon und dessen Sohn Thomas erlebt der Autor hautnah und eisklar, wie beschwerlich, ja fast unmöglich die Jagd nach frischem Fisch und Robben geworden ist. Mit freundlich herablassender Neugier nähert sich Sterley dabei dem Alltag der Inuit („Wie lebt es sich an einem der unwirtlichsten Orte der Welt?“), doch statt hübsch exotischem Brauchtum entfaltet sich vor der Kamera eine sehr moderne Realität: Durch die globale Klimaerwärmung schmilzt Grönlands Eis. Da Robben sich am liebsten in Eiswasser aufhalten, rücken sie zusammen mit dem Eis in die entlegenen Gegenden der Insel zurück – und entziehen sich so immer mehr dem Zugriff ihrer Jäger. Um die traditionelle Nahrung gebracht, verlieren die Einwohner Sermiligaaqs immer mehr ihre Selbstständigkeit und geraten in Abhängigkeit etwa vom dänischen Lieferschiff, das alle paar Monate Gemüse bringt.

Vielleicht aus journalistischer Vorsicht vor Überinterpretation, vielleicht aber auch aus Desinteresse erwähnt Sterley diesen Einbruch der Globalisierung in die Lebenswelt der Inuit – denen er übrigens keine Nachnamen gönnt – jedoch nur am Rande. Stattdessen konzentriert sich der Film auf einen anderen Einbruch ins anscheinend alles andere als ewige Eis: die Forschertruppen, die seit der vorletzten Jahrhundertwende die Insel aufsuchen, um dort Klimaforschung zu betreiben. An ihnen lässt sich noch mal der Mythos des edlen Wissensdurstigen abfeiern – die passend majestätische Kulisse dafür bietet Grönland allemal. Wie fragil dieser Pomp aus Eis und Schnee jedoch ist, darüber schweigt sich der Film weitgehend aus.