ISOLDE CHARIM KNAPP ÜBER DEM BOULEVARD
: Die SPÖ lädt ein: Tanz auf den Ruinen der Parteigeschichte

Orte, die die Macht verlassen hat, werden überwuchert – mit Partykultur. Diese kommt, wenn die ehemalige symbolische Ordnung zerfallen ist

In Wien gibt es einmal jährlich, vor Beginn der politischen Sommerpause, ein Fest der Sozialdemokratischen Partei. In Zeiten, wo diese an der Regierung ist, heißt es „Kanzlerfest“, ansonsten ist es das „Sommerfest“ – quasi zum Überwintern bis zur nächsten Regentschaft.

Bei diesem Fest bekräftigt man Jahr um Jahr den alten Slogan, mit dem Bruno Kreisky Allianzen weit über das sozialdemokratische Kernmilieu hinaus geschmiedet hat: „ein Stück des Weges gemeinsam gehen“. Es war dies die Öffnung der Partei hin zum progressiven Teil der Intellektuellen, Künstler, Medienarbeiter, Ärzte, Anwälte – kurzum: die Erzeugung einer eigenen antibürgerlichen Mittelschicht. Dies war lange Zeit ein äußerst erfolgreiches Unternehmen, und die Allianz wurde jährlich auf ebendiesem Fest bestätigt.

Das diesjährige Fest ist nun ein Kanzlerfest. Aber es fällt in die Zeit einer großen Krise der SPÖ, die sie mit vielen europäischen Schwesterparteien teilt. In Umfragen liegt sie nicht nur hinter ihrem Koalitionspartner, sondern auch nahezu gleichauf mit der extrem rechten FPÖ. In dieser Situation muss sich die Partei konsolidieren.

Da erhält auch so ein Fest eine andere Relevanz als in Blütezeiten. Es ist nicht so, dass dies den Organisatoren nicht deutlich bewusst gewesen wäre. Ebenso wie die Relevanz symbolischer Inszenierungen. Unklar war ihnen jedoch, wie dieses Symbolische funktioniert.

Symptomatisch dafür war die Wahl eines neuen Schauplatzes für das Fest. Dieses fand traditionell im Garten der SP-Parteiakademie statt, der mehr ein Park denn ein Garten ist und dem ganzen Treiben einen feudal-demokratischen Touch gab. Heuer wechselte man erstmals den Ort und bat in eine Werkshalle der Österreichischen Bundesbahnen. Eine Wahl, die ein Zurück-zu-den-Wurzeln signalisieren sollte: Wir haben uns verzettelt, aber das ist unser ureigenstes Terrain, hier haben wir noch festen Boden unter den Füßen – die Werktätigen und die Bahn, eines der letzten Unternehmen, das noch in österreichischem Staatsbesitz ist.

Hat das funktioniert? Abgesehen davon, dass die festlichen Besucher wie eine Truppe von Aliens den Unterschichtbezirk durchquerten, von den „Ureinwohnern“ argwöhnisch beäugt. Abgesehen auch davon, dass die arrivierten Künstler ausblieben, die es nicht mehr chic finden, die Partei zu unterstützen, sondern aus der Distanz zu ihr ihren Distinktionsgewinn erzielen. Das kann ein klarer Hinweis darauf sein, dass hier eine Ära endgültig zu Ende geht. Immerhin wurde diese Lücke durch Junge, vereinzelte Frauen mit Kopftuch und Funktionäre der zweiten und dritten Reihe geschlossen.

Aber dennoch: Ermöglicht eine solche Rückkehr ein Andocken an die eigene Geschichte? Kann man so einen Ort wie eine Tankstelle benützen, um verlorene politische Energien aufzutanken – Eigenblutdoping gewissermaßen? Tatsächlich verwandelte die Logik des Symbolischen dies zu einem Schuss nach hinten.

Denn die Halle erschien dem Publikum nicht wie ein Ort lebendiger Produktivkraft, sondern wie ein Museum. Dass hier vor einigen Stunden tatsächlich noch gearbeitet wurde, vermittelte sich nicht.

Eine Frau meinte: „Wir stänkern, aber in Deutschland würde man sagen: Coole Location!“ Genau das ist aber der springende Punkt. Der unreflektierte Rückgriff macht aus dem Umfeld eine Location – nichts weiter als ein Ambiente also. Solch eine Aneignung der eigenen Ursprünge verwandelte diese in eine sinnentleerte Dekoration. In dieser unreflektierten Form lässt sich eben nicht an die eigene Geschichte anschließen.

Es hätte sich vielleicht gelohnt, dafür auf die Erfahrungen der Subkultur – namentlich der Berliner – seit den 90er-Jahren zurückzugreifen. Diese haben gezeigt, was die partymäßige Aneignung ehemaliger Produktions- und Machtorte ist: nichts anderes als die zeitgenössische Form von Ruinenästhetik. Orte, an denen die Macht einmal war, die sie aber verlassen hat, werden überwuchert – nicht mit Gras und Natur, sondern mit Partykultur. Diese kommt erst dorthin, wenn die ehemalige symbolische Ordnung zerfallen ist, wenn die Bedeutung, die den Ort aufgeladen hat, verschwunden ist. Was aber, wenn eine regierende Partei solch eine Party-Aneignung versucht?

Dann verwandeln sich ehemals volle Zeichen wie Eisenbahnwaggons in entleerte Reliquien, die die Sozialdemokratie überwuchern. Statt politische Kraft zu tanken, erreicht diese ästhetische Aneignung das Gegenteil: Das Fest wird zu einem Tanz auf den Ruinen der eigenen Geschichte – ein Sinnbild für den Zustand der Partei.

■ Isolde Charim ist freie Publizistin und lebt in Wien