WOLFGANG GAST LEUCHTEN DER MENSCHHEIT
: Mit Mythen die Mythen austreiben

Man muss es schon Strafvereitelung im Amt nennen, was Anfang der Woche der Spiegel im Zusammenhang mit der Ermordung Benno Ohnesorgs berichtete. Systematisch, so weiß man heute, wurden alle Hinweise darauf beseitigt, dass Ohnesorg am 2. Juni 1967 am Rande einer Demonstration gegen den persischen Schah gezielt von Karl-Heinz Kurras, einem Beamten des Berliner Staatsschutzes, aus nächster Nähe erschossen wurde. Das Ereignis schrieb bekanntermaßen Geschichte. Jahrzehntelang verteidigten Justiz und Polizei und der Boulevard die These, Kurras habe in Notwehr gehandelt, sei von einem Mob bedroht gewesen.

Die Legende hielt, bis die Historikerin Cornelia Jabs und der Historiker Helmut Müller-Enbergs die langjährige Stasitätigkeit des Staatsschützers offenlegten („Deutschland Archiv“, 2009, Heft 3). Die, die wie die Bild-Zeitung Kurras die Treue gehalten hatten, ließen ihn auf der Stelle fallen, sprachen nun von einem womöglich in Ostberlin in Auftrag gegebenen Mord. Das alte Feindbild vom Osten hielt.

Alte Feindbilder und unglaubliche Vertuschungen prägten auch ein polizeiliches Großereignis knapp drei Jahrzehnte später: Der katastrophal verlaufene Einsatz am 27. Juni 1993 in Bad Kleinen. Zwei Mitglieder der Roten Armee Fraktion sollten festgenommen werden. Der Zugriff endete im Desaster, am Ende waren der RAF-Mann Grams und der GSG-9-Beamte Michael Newzella tot. Immer neue Pannen des Einsatzes kamen ans Licht. Innenminister Seiters trat zurück, und Generalbundesanwalt von Stahl musste den Hut nehmen. Die Leiche von Grams wurde manipuliert, Tatortspuren verschwanden, auch blieben die Zeugenaussagen widersprüchlich. Der Verdacht, Grams könnte regelrecht exekutiert worden sein, wurde trotzdem entsorgt. Unter anderem mit Hilfe des „Aktenzeichen XY“-Moderators Butz Peters („Der letzte Mythos der RAF“, 2006). Der forderte umstandslos, dass das „Märchen von einem Polizeimord an einem Staatsfeind“ endlich vom Tisch müsse. Angesichts der jetzt aufgedeckten Vorfälle um den Tod Ohnesorgs möchte man dem Autor raten, sich nicht so sehr festzulegen.

Der Autor ist Redakteur der taz Foto: privat