Grüne Meadsekatzen

Kleiner Koalitionspartner stimmt für Rüstungsprojekt. Experten: Entscheidung nicht nachvollziehbar

AUS BERLIN ULRIKE HERRMANN
UND LUKAS WALLRAFF

Wir sind zwar in der Regierung. Aber wir können leider, leider trotzdem nicht verhindern, dass manchmal Dinge gemacht werden, die erstens völlig unsinnig und zweitens viel zu teuer sind.

So lässt sich der Beschluss zusammenfassen, mit dem die Grünen doch zugestimmt haben, das von Verteidigungsminister Peter Struck gewünschte Raketenabwehrsystem „Meads“ anzuschaffen. „Trotz der berechtigten Bedenken“ empfahl der grüne Parteirat gestern seiner Bundestagsfraktion, eine Beteiligung an dem milliardenteuren Rüstungsprojekt morgen im Haushaltsausschuss abzusegnen.

Parteichef Reinhard Bütikofer sprach mitleidheischend von „Bauchschmerzen“. Es sei leider nicht gelungen, die SPD von den grünen Bedenken zu überzeugen. Am Ende habe das Argument der „Bündnisverlässlichkeit“ schwer gewogen. Damit meinte der Grünen-Chef wohl die Zusagen an die „Meads“-Partner USA und Italien, die von der Bundesregierung gemacht wurden. Auch der Parteirat nennt „erhebliche internationale Implikationen“, die aus einer Ablehnung folgen würden.

Von den Folgen für das Berliner Regierungsbündnis sprachen andere. „Wenn man ehrlich ist“, hieß es aus grünen Führungskreisen, „dann gab es nur einen Grund zuzustimmen: Dass man keinen Koalitionskrach wollte.“ Für diesen Harmoniewunsch habe er Verständnis, sagte der grüne NRW-Parteichef Frithjof Schmidt der taz. Er könne aber trotzdem im Wahlkampf „nicht erklären, warum man in einer Zeit, in der soziale Einschnitte verlangt werden, ein Rüstungsprojekt durchzieht, das Milliarden kostet und dessen Zweck äußerst zweifelhaft ist“.

Der Sprecher der Grünen Jugend, Stephan Schilling, zeigte sich „enttäuscht vom Verhalten der Fraktions- und Parteispitze“. Er könne „unsere Haushaltspolitiker nur auffordern, standhaft zu bleiben“, sagte Schilling der taz. Einer von ihnen, Alexander Bonde, erklärte gestern denn auch schon, er bleibe bei seiner „inhaltlichen Ablehnung“. Allerdings: Wie er sich morgen im Ausschuss verhalten werde, stehe noch nicht fest. Insgesamt 3,5 Milliarden Euro sollen Entwicklung und Beschaffung der Meads-Raketen die Deutschen kosten, so jedenfalls hat das Verteidigungsministerium optimistisch gerechnet. Der Bundesrechnungshof hat diese Kalkulation jedoch scharf kritisiert und erwartet Kosten von mindestens 6 Milliarden Euro für die Bundesrepublik.

Diese Erkenntnisse des Bundesrechnungshofes haben die Grünen gern aufgegriffen, um zu versuchen, wenigstens im Haushaltsausschuss gegen Meads zu opponieren. Denn im Verteidigungsausschuss hatten sie bereits im Dezember zugestimmt. Seither konnten sie kaum noch darauf eingehen, dass auch der militärische Nutzen der geplanten Abwehrraketen außerordentlich fraglich ist (siehe unten). „Die Grünen haben nur noch reagiert, statt vorausschauend zu agieren“, beklagt der Friedensforscher Otfried Nassauer.

Manchmal reicht auch eine späte Intervention – doch diesmal hatten es die Grünen mit einem Kanzler und einem Verteidigungsminister zu tun, die sich früh und eindeutig auf Meads festgelegt hatten. Nun erweckt Struck den Eindruck, als müsste sofort entschieden werden, um die Geschäftspartner USA und Italien nicht zu verprellen. Doch jenseits des Atlantiks ist man gelassener: Die Amerikaner haben mehrfach erkennen lassen, dass sie bereit sind, die Zustimmungsfristen zu verlängern. Im Zweifel würde das Pentagon auch ganz auf die Deutschen verzichten – für das US-Verteidigungsministerium ist Meads nur eine von mehreren Optionen. „Meads hat bei den Amerikanern keine besonders hohe Priorität“, sagt ein regierungsnaher Militärexperte, der nicht genannt werden will. Da hätte Schröders einsamer Vorschlag, das Waffenembargo gegen China zu lockern, viel größeren Schaden angerichtet. „So viele Raketen können wir gar nicht kaufen, um die Amerikaner wieder zu besänftigen.“

Auch Grünen-Fraktionsvize Christian Ströbele lässt das Argument der Bündnistreue nicht gelten. „Um die USA freundlich zu stimmen, gäbe es auch andere, bessere Gelegenheiten“, sagte Ströbele gestern der taz, „zum Beispiel die Beibehaltung des Waffenembargos gegen China.“