Grundschullehrer bereiten Zensuren-Boykott vor

Schulkonferenzen und Lehrerversammlungen sollen in jeder Schule entscheiden, ob Pädagogen künftig noch Noten an Schüler der 3. und 4. Klassen verteilen oder sich auf Lernentwicklungsberichte beschränken. Der Sprecher des Bildungssenators reagiert gelassen auf einen möglichen Boykott

Bremen taz ■ Die Uhr in der Aula der Schule an der Julius-Brecht-Allee steht auf zwölf Uhr. Die Zeiger bewegen sich nicht – und genau diesen Eindruck hat Marlis Koke von der Bremer Bildungspolitik: „Was wir an Belastungen tragen müssen – das reicht“, meint die Lehrerin von der Grundschule an der Stader Straße. Sie empfindet die Wiedereinführung der Ziffernzeugnisse für die 3. und 4. Klassen als „antipädagogisch“: Unsere Erfahrung zeigt, dass Zensuren Schüler nur zu Vergleichen anstacheln, die nichts bringen.“

Die Grundschullehrerin ist zur Personalversammlung für Lehrer der Primarstufe und der Förderzentren der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW) gekommen, um ihrem Ärger Luft zu machen. Und damit ist sie nicht allein: Bei zwölf Enthaltungen beschließen die Pädagogen einen Antrag, der alle Kollegen auffordert, innerhalb der nächsten drei Wochen Schulkonferenz- oder Lehrerversammlungsbeschlüsse zu fassen, um keine verpflichtenden Zensuren an ihren Schulen zu erteilen. Das wäre nicht mehr und nicht weniger als ein Boykott der Dienstanweisungen. Marlis Koke hat keine Angst vor möglichen Konsequenzen. „Die gute Förderung der Kinder sollte uns zur Not auch einen Eintrag in die Personalakte wert sein.“

Rainer Gausepohl, Sprecher des Bildungssenators, sieht der Sache gelassen entgegen. Er rechnet mit keinem Boykott, mag sich auch nicht zu möglichen disziplinarischen Konsequenzen für die Pädagogen äußern. „Wir gehen davon aus, dass die Lehrer ihre Pflichten erfüllen.“ Der Beschluss sei von der Deputation gefällt, da könne nicht von Mal zu Mal etwas geändert werden.

Das sehen die Lehrer anders. Sie sind überzeugt, dass Lehrentwicklungsberichte ausreichen, um ein Kind richtig einschätzen zu können. „Die haben sich bewährt und sind individuell auf jeden Schüler abgestimmt – das lassen wir uns nicht durch Zensuren kaputtmachen“, meint Marlis Koke.

Gausepohl weist darauf hin, dass es Ausnahmegenehmigungen für Schulen gebe, die sich von der Zensurenpflicht befreien lassen wollten. Im vergangenen Jahr seien dies sechs Schulen gewesen. „Alle hätten eine Ausnahmegenehmigung verdient, denn wir haben doch alle Sonderschulen integriert“, argumentiert Marlis Koke. Damit seien die Schulen „besonderer als andere Schulen in Deutschland“.

Jetzt kommt es darauf an, wie viele Schulen sich einem möglichen Boykott anschließen. Sind sich die Kollegien nicht einig, wird sich die Uhr in der Schulfrage zwar weiterdrehen – aber es bleibt die Frage, für wen die Zeit dann abläuft. Kay Müller