american pie
: Der Tour-Dominator wird rührselig

Der sechsmalige Tour-de-France-Sieger Lance Armstrong will dieses Jahr zum siebten Mal in Frankreich gewinnen und danach seine Karriere beenden

Einen solch gefüllten Pressesaal hatte die Tour of Georgia, ein Radrennen doch ziemlich weit abseits des europäischen Rennzirkus, wohl noch nie erlebt. Dutzende von Fernsehkameras drängten sich im großen Konferenzsaal des Radisson Hotels von Augusta am Ufer des Savannah River, und die Reporter standen im Gang des Hotels Schlange. „Das ist wohl das zweitgrößte Medienereignis in Augusta in den vergangenen vierzehn Tagen“, witzelte Lance Armstrong. Nur Tiger Woods hatte jüngst beim Golf-Masters mehr Journalisten in die verschlafene Südstaaten-Provinzstadt gelockt.

Natürlich gefiel es Armstrong, dass so viele Leute seinetwegen nach Georgia gereist waren. Vor drei Wochen hatte er angekündigt, dass er in Georgia „etwas ganz Wichtiges“ zu sagen habe, und der Köder hatte gewirkt. „Die Tour de France in diesem Jahr wird mein letztes Radrennen sein“, ließ er wissen, kaum dass er auf der Bühne Platz genommen hatte. Dann begann der gewöhnlich ob seiner Abgebrühtheit ungeliebte Tour-Dominator, uncharakteristisch mit den Tränen ringend, den bedeutsamen Menschen in seinem Leben zu danken – seinen Kindern, seiner Mutter, seinem Sponsor, seinem Mannschaftsleiter Johan Bruyneel und zu guter Letzt seiner Freundin Sheryl Crow, die sich „für eine Königin des Rock ’n’ Roll“ doch zu einem brauchbaren Radsportfan entwickelt habe. Seinen langjährigen Berater Michele Ferrari, von dem er sich wegen dessen Verurteilung in einem Sportbetrugsprozess in Italien offiziell trennen musste, sparte er freilich aus.

Doch spätestens bei der Frage, wie ernst zu nehmen diese Rücktrittserklärung denn nun sei, ernüchterte der gerührte Champion wieder. Er werde nach dem 24. Juli 2005 nie mehr als Profi aufs Rad steigen. Sein langfristiger Vertrag mit dem neuen Mannschaftssponsor Discovery Channel beinhalte nicht, dass er auch Fahrrad fahre. Er werde Sendungen moderieren und außerdem in der Leitung der Mannschaft dazu beitragen, „dass wir in den nächsten Jahren auch ohne mich die Tour gewinnen“. Verpflichtet sei er, die Tour noch einmal zu fahren, und das bringe er ja in diesem Jahr hinter sich.

Allerdings warnte er ganz unsentimental davor, ihn bei dieser letzten Tour zu unterschätzen. Es werde kein Abschiedsdefilee, sondern er fahre, um das Rennen zum siebten Mal hintereinander zu gewinnen. Seine Motivation sei, nach dem Rekordsieg im vergangenen Jahr, „der Traum, an der Spitze abzutreten“.

Ohne weiteres gibt Armstrong zu, dass er noch immer leidenschaftlich gerne Rad fährt. Schnell Rad fährt: „Ich liebe es immer noch, sechs Stunden wie ein Verrückter zu trainieren und völlig erledigt nach Hause zu kommen.“ Stärker als diese Lust wiege für ihn jedoch mittlerweile die Last, die das Profidasein bedeutet. Als er in diesem Frühjahr sechs Wochen in Europa zugebracht habe, sei es ihm unerträglich gewesen, so lange von seinen drei Kindern getrennt zu sein. „Ich habe keine Lust mehr, die wichtigen Entwicklungen meiner Kinder zu verpassen, und in ihrem Alter ist jeder Tag wichtig.“

Das ist verständlich. Allerdings, berichtet Armstrong, habe sogar Sheryl Crow Zweifel angemeldet, ob er denn seinen Entschluss durchhalten werde. Beim gemeinsamen Betrachten des Weltcuprennens Mailand–San Remo im Fernsehen habe es Armstrong keine Minute lang im Sessel gehalten. „Und du willst aufhören?“, habe Crow ihn lakonisch gefragt. „Ich muss wohl meine Begeisterung in meine zukünftige Tätigkeit in der Mannschaftsleitung kanalisieren“, sagt er dazu. Dann würde er allerdings wieder monatelang in Europa herumreisen, um Radrennen beizuwohnen. Und dann wiederum kann er genauso gut weiter selber fahren. Ob sich bei der nächsten Rücktrittsankündigung allerdings wieder hunderte von Journalisten zu einem zweitklassigen Rennen nach Georgia locken lassen, ist zweifelhaft.

SEBASTIAN MOLL