Der Dreisatz des Ulrich Thöne

Manche wollen den künftigen Chef der GEW madig machen. Dabei könnte der kampferprobte Berliner der richtige Mann zur richtigen Zeit sein

Wie könnte der Chef einer Lehrergewerkschaft aussehen? Genau. Er trägt einen grau melierten Bart. An seinen Füßen befinden sich Schuhe mit weichen Sohlen. Sein Sakko ist aus Leinen. Er ist, logisch, jenseits der 50. Und: Er gibt sich sanft.

Manche Klischees funktionieren nicht.

„Die GEW muss kämpferischer werden“, sagt Ulrich Thöne. Er schweigt. Er wartet ab. „Wissen Sie, die Differenz ist ein bisschen zu groß geworden“, fügt er sodann an. „Zwischen dem, was die Gesellschaft von Bildung, von Schulen und Hochschulen erwartet, und dem, was der Staat dafür bereit ist zu geben, klafft eine große Lücke.“

Der Mann, der gerade im feinen Berliner Café Einstein Platz genommen hat, ist der einzige Kandidat. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft sucht an diesem Wochenende einen neuen Vorsitzenden. Und die KonkurrentInnen des Berliner Ober-GEWlers Ulrich Thöne haben zurückgezogen. Furcht vor der Basis. Diese Alternativlosigkeit stört nicht wenige. Thöne gilt ihnen als zu links, zu steif, zu kompromisslos. Manche sind richtig verzweifelt. „Mir ist auch nicht klar, wieso wir uns jetzt so einen Vorsitzenden wählen“, sagt einer, der sich auskennt in der selbst ernannten Bildungsgewerkschaft, aber, logisch, nicht genannt sein will.

Jetzt, das ist das Jahr vier nach der Schulstudie Pisa. Das ist das Jahr drei nach der Wiederentdeckung der Kindergärten. Das ist das Jahr zwei nach der Debatte um Eliteuniversitäten. Es ist das Jahr, in dem Bildung noch einmal über die Mutter aller Reformen entscheiden wird: die Föderalismusreform. Es ist das Jahr, in dem wenig erreicht wurde. Mit billigen Kompromissen, das findet wohl nicht nur der Gewerkschaftsboss in spe, kommt man nicht weit.

„Der Spatz in der Hand ist wichtig“, sagt der 53-jährige Thöne, „aber wir dürfen die Taube auf dem Dach nicht vergessen.“ Der studierte Lehrer und Volkswirt steht für eine härtere Gangart. Denn die Kultusminister und die Länderkabinette haben die LehrerInnen zu oft hereingelegt. „Immer, wenn über neue Arbeitszeitmodelle geredet wurde“, erinnert er sich an Bremen, Hamburg, Schleswig-Holstein, „waren die Einsparungen schon mitgedacht.“

Ein neues Arbeitszeitmodell, das klingt sehr nach Tarifarithmetik, nach komplizierten Verhandlungen, die nachts um vier zum Erfolg gekommen sind. Thöne weiß sehr genau, dass für die Lehrer an der Arbeitszeit viel mehr hängt – ihre Rolle, ihr Selbstverständnis. Ob ein Lehrer sich weiter an den Pflichtstunden abarbeitet – oder seinen Job umfassender sieht. Ob er sich weiter als Einzelkämpfer begreift – oder mehr Möglichkeiten zur Teamarbeit bekommt.

„Ich weiß doch selbst, dass der baden-württembergische Antrag diese Rolle viel intelligenter beschreibt“, sagt Thöne über jenes Papier, das als das zukunftszugewandteste für den GEW-Gewerkschaftstag in Erfurt gilt. Aber ihm fehlen darin zwei wichtige Leitplanken: Erstens darf die Gesamtbelastung für die Lehrerschaft nicht weitersteigen; zweitens muss es eine Pflichtstundenobergrenze für den einzelnen Lehrer geben. Und wenn es das nicht gibt? Dann wird es, daran lässt Thöne keinen Zweifel, auch keinen Lehrer neuen Typs geben.

Der politische Dreisatz des Mannes, der in harten Berliner Etatverhandlungen geschult wurde: „Wenn wir mit Bildung Ziele erreichen wollen, dann müssen wir erst die dafür notwendigen Maßnahmen definieren. Und uns dann fragen, wie sparsam wir das hinbekommen.“ Aber was nicht mehr gehe, ist: Bildungs- und Einsparziele vorgeben – und den Lehrern den Befehl erteilen: umsetzen! Vielleicht ist der linke Ulrich Thöne ja der richtige Mann zur richtigen Zeit an der Spitze der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft. CHRISTIAN FÜLLER