Der schnelle Verführer

Zuerst geliebt, spätestens seit der Friedensbewegung verhasst: McDonald’s wird in diesen Tagen 50 Jahre alt. Warum wir diesen kulinarischen Imperialisten trotzdem mögen dürfen

VON JAN FEDDERSEN

Die Bedienung hinter den Tresen heißen Murat und Jack, Tanja und Seygül, Kevin und Mandy. Sie sind freundlich, und das müssen sie auch, denn auf eine gewisse Zugewandtheit sind sie alle getrimmt, die Angestellten, teil- oder vollzeit, die bei McDonald’s mit den Kunden Kontakt aufnehmen. Es gibt keine Studien zu diesem Phänomen, aber Mutmaßungen: McDonald’s ist nicht nur hierzulande der Arbeitgeber mit dem multikulturellsten Profil. Das mag als Zeichen amerikanisch inspirierter Integrationskraft genommen werden, vor allem für die, die dort einen Job bekommen: allen Sprachschwierigkeiten zum Trotz bekommen sie eine Chance am Arbeitsmarkt. Deutsch wird als Einstellungsvoraussetzung definiert – was ja klar ist, wenn man im Verkauf tätig ist, aber es muss nicht nach Abitur klingen.

Das ist, wie man in der Münchner Zentrale des Unternehmens einräumt, sogar besser, wenn die Angestellten sprechen, wie sie sprechen: wie ihre Kunden. Schnörkellos, direkt, in Eile: „Einmal Maxi-Menü mit Big Mäc und Pommes, als Getränk Vanilla Shake und Majo extra.“ – „’n Dessert dazu?“ – „Einfach so?“ – „Nee, kost’ extra.“ Drei Minuten später ist auf dem Tablett serviert, was gewünscht wird – und abkassiert. Weitere sieben Minuten dauert es, haben Untersuchungen herausgefunden, ehe das Mahl vertilgt ist. Und das finden alle, wirklich alle, die zu McDonald’s gehen, auch gut so: schnell bedient zu werden, ohne viel gastronomisches Getue, ohne: „Hat es Ihnen geschmeckt?“, ohne auf die Handhabung von Messer und Gabel achten zu müssen. McDonald’s, das ist Teil seiner Fastfoodlegende, gibt allen eine Chance, so zu speisen, als sei man noch ein Kind: etikettefrei.

Warum aber hat die Kette so einen schlechten Ruf? Weshalb demonstrieren vor seinen Türen Menschen und rufen „Nieder mit dem US-Imperialismus?“ oder „Die USA ruinieren unsere Mägen!“ Gehört und gesehen vor zwei Jahren in Kopenhagen, Frankfurt am Main oder in London: McDonald’s – ist das der Rumsfeld unter den weltweit operierenden Imbissketten? Weshalb haben Pizza Hut, Kentucky Fried Chicken, Burger King oder Wendy’s nicht einen ähnlich miesen Ruf? Weshalb ist es okayer, dort zu essen – nicht aber bei McDonald’s?

Weil McDonald’s so unverblümt ist? So kristallklar amerikanischer Herkunft? Das war 1971, als die erste deutsche Filiale eröffnete, in München nämlich, noch nicht so ganz der Fall. Die Befriedigung des Heißhungers war in der Bundesrepublik noch eine Angelegenheit von Bratwurstbuden – Frikadellen zwischen Toastbrot, garniert mit etwas Salatähnlichem, obendrein versehen mit einer Käsescheibe: Das war neu – weckte aber keinen politischen Protest.

Erst als McDonald’s Marktführer auch zwischen Alpen und Dänemark war, regte sich Missgunst – aufgefönt mit politischen Unterstellungen. Die geschlachteten Tiere für die Kost bräuchten so viel Futter, dass der Regenwald verschwände; Coca-Cola mache süchtig und verätze die Magenwände; das Essen könne ein tüchtiges Mittagsmahl nicht ersetzen. Mit anderen Worten: Spätestens Anfang der Achtziger, als die Friedensbewegung den Ton anzugeben begann, stand McDonald’s unter Generalverdacht, heimtückisch die beginnende Ökologisierung der Lebensformen zu konterkarieren. Sprachen unsere Kreise mählich von Entschleunigung, von Vollwertkost und Slow Food, antwortete McDonald’s Jahr für Jahr mit besseren Bilanzen: Die Leute waren offenbar nicht zu irritieren – sie hielten sich von der Prüderie der korrekteren Lebensführung eher fern. Krönung der Heuchelei mag ein taz-Kollege in Hamburg gewesen sein, der, Ende der Achtziger, für die Sonntagsbelegschaft, als die Vollwertkantine einer Drittweltwerkstatt geschlossen hatte, zur nächsten McDonald’s-Filiale ging – und sich die vielen Schächtelchen in eine „Jute statt Plastik“-Lumpentasche packen ließ, um konspirativ den kulinarischen Frevel zu verhüllen.

Trotzdem hat es nie so recht zum Frieden mit dem globalen Marktführer des Fastfoods gelangt. In den USA ist McDonald’s noch immer mit dem Ansinnen einstiger KundInnen konfrontiert, die der Kette vorwerfen, sie nicht hinreichend über die Gefährlichkeit seiner Nahrung aufgeklärt zu haben: Die fetten KlägerInnen wollen nun Entschädigung – wie lungenkrebskranke Raucher von Tabakfirmen, die sich ebenfalls beschweren, über die Risiken des Nikotinkonsums nicht Bescheid gewusst zu haben. Die Lage ist offen, aber McDonald’s, dessen Bilanzen in jüngster Zeit nicht mehr jene Zuwächse ausweisen, die Aktionäre glücklich machen, hat sich natürlich auf die Situation eingestellt: In Flyern weist man dort wie auch in den meisten anderen Ländern inzwischen darauf hin, dass McDonald’s-Food allein nicht satt macht.

Mehr noch: Seit Monaten gibt es in McDonald’s-Filialen Flugblätter, auf denen zu Sport und ausgewogener Ernährung motiviert wird. So muss wohl auch die leichte Ausdehnung des Repertoires begriffen werden: Seit kurzem gibt es dort Salate mit Low-Fat-Dressings. Kummervoll nur, dass diese neuen Produkte ungefähr so populär sind wie etwa der Smart von Daimler: klein und fein, aber der Kunde wünscht dann doch lieber das aufgemotzte Statussymbol. Big Mac oder E-Klasse.

So oder so: Die Stiftung Warentest jedenfalls war neulich entzückt nach einer Recherche in Sachen Fastfood. Die Küchen „brillierten“, hieß es, in puncto Sauberkeit – und der Cheeseburger in Sonderheit schmecke gut, nach gegrilltem Rindfleisch. Das Lob muss auch so gelesen werden: McDonald’s ist, die Idee des Fastfoods ernst genommen, das Optimum dessen, was jenseits von aufwändig zubereiteten Menüs geht.

Dennoch müssen Eltern oft schon früh auf die Mittel der schwarzen Pädagogik zurückgreifen, um die Gier ihrer Kinder nach McDonald’s-Besuchen zu zügeln. Denn das Geheimnis der Verführung des Nachwuchses ist simpel: In jedem McDonald’s-Restaurant finden sich Spielbereiche für Kinder. Überhaupt sieht es ja bei McDonald’s mehr wie im Spielzimmer aus, nichts ist schick, exzellent oder kunstbeflissen. Man könnte sogar, wie Kinder es gern tun, toben, ohne dass es den Möbeln etwas antäte: Im Spielbereich selbst, wo zu arrangierten Geburtstagen sogar, traditionell, ein Clown auftritt, ist es wie eine Mischung aus Villa Kunterbunt und Mikro-Disney – unverwüstlich, bunt, einladend. Nur im vorigen Sommer schwenkte die Kinderliebe zum Konkurrenten Burger King um: Der hatte beim Geburtstagsmahl als Surplus ein Shrek-2-Accessoire zu bieten – McDonald’s war da kurzzeitig etwas uncool.

In diesen Tagen feiert man 50 Jahre McDonald’s – weltweit. Eine Idee, die in 121 Ländern funktioniert, auch in Deutschland. Man war offenbar machtlos – die Currywurst, im Grunde ja die einzige kulinarische Hervorbringung der Deutschen, ist fast verdrängt, längst auch vom Döner. Dabei ist dieser Tage die Kette ja nicht fünfzig geworden – gegründet wurde das Unternehmen 1955 von Ray Kroc, der wiederum die Idee von den Brüdern McDonald abkaufte, die 1948 in Des Moines, im US-Bundesstaat Illinois erstmals Bürger en suite und en gros brieten.

Man darf, auch in unseren Kreisen, die das gute Leben in Langsamkeit und Nachhaltigkeit predigen, ein wenig gratulieren. Immerhin ist McDonald’s ja der Beweis, dass man als kulturimperialistische Institution die Gepflogenheiten eines Landes nicht zerstören muss, bestenfalls erweitern: In Israel gibt es koscher arbeitende Filialen, in Indien verzichtet man auf das Fleisch des Rindes, denn dieses Tier ist dort heilig – und überall ist die Personalpolitik gleich. Man gibt allen eine Chance, den schlechten Stundenlöhnen, dem obskuren Umgang mit Gewerkschaften zum Trotz. McDonald’s ist neben Pizza und Spaghetti das Beste, was den Deutschen kulinarisch in den späten Nachkriegsjahren passieren konnte. McDonald’s ist irgendwie cool. Man wird dort nie ernsthaft satt. Irgendwie sehnt man sich nach vielen McDonald’s-Besuchen nach anderem Essen. Dass dieses Fastfood die zivilisierteste Art ist, Heißhunger, orale Lust oder Magengrimmen zu tilgen, kann kaum bestritten werden.