Ein Mann für alle Fälle

von BAHMAN NIRUMAND

Höchstwahrscheinlich dürfte er der nächste Staatspräsident Irans werden. Noch ziert er sich, für die Wahl im Juni zu kandidieren. Aber wohl nicht mehr lange. Er wolle anderen den Vortritt lassen, sagt er noch. Sollte sich aber keiner finden, der in der Lage wäre, das Land aus der gegenwärtigen Krise zu führen, dann werde er keine Opfer scheuen und sich in den Dienst des Volkes stellen.

Ali Akbar Haschemi Rafsandschani ist derzeit wohl der mächtigste Mann im schiitischen Gottesstaat. Im Volksmund wird er die graue Eminenz genannt. Er leitet unter anderem den „Rat zur Feststellung der Staatsräson“. Der hat bei Konflikten zwischen Parlament und Wächterrat das letzte Wort – ein Gremium, das gegen Beschlüsse des Parlaments ein Veto einlegen kann (siehe auch Kasten). Rafsandschani ist zudem Mitglied des so genannten Expertenrats, der für die Wahl oder Abwahl des mit nahezu grenzenloser Macht ausgestatteten Revolutionsführers, des geistlichen Oberhaupts des Landes, zuständig ist.

Glaube und Tod

Der Mann mit den kleinen, stechenden, schlauen Augen und dem spärlichen Bartwuchs ist der Einzige aus dem engsten Kreis um den verstorbenen Revolutionsführer Chomeini, der bislang alle Gefahren und Machtkämpfe ungeschoren überstanden hat.

1980 kamen bei einem Sprengstoffattentat auf eine Versammlung der Islamischen Republikpartei fast neunzig Personen ums Leben, darunter zahlreiche Parlamentsabgeordnete, Minister, Staatssekretäre. Rafsandschani, Mitglied des Parteivorstands, verließ wenige Minuten vor der Detonation das Gebäude, ohne später dafür einen plausiblen Grund angeben zu können. Das gab Anlass zu zahlreichen Gerüchten. Denn durch den Anschlag wurden seine wichtigsten Rivalen liquidiert. Zahlreiche andere Mordattentate im In- und Ausland seien, so die vorherrschende Meinung im Volk, in seinem Auftrag ausgeführt worden. Sogar der plötzliche Tod von Chomeinis Sohn Ahmad wird ihm angelastet. Ein Berliner Gericht sah es als erwiesen an, dass er bei dem Attentat von 1992 im Berliner Lokal Mykonos, bei dem vier iranische Dissidenten ermordet wurden, zu den Auftraggebern gehörte. Sollte er Staatspräsident sein, wird dieses Urteil bei Staatsbesuchen in Europa äußerst problematisch werden.

Auch bei der Planung der so genannten Kettenmorde, bei denen 1999 ein Politikerehepaar, zwei Schriftsteller und ein Journalist ermordet wurden, soll er mitgewirkt haben. Der Journalist Akbar Gandschi, der darüber Nachforschungen angestellt hatte, wurde wegen Propaganda gegen den islamischen Staat, Beleidigung der Staatsführung und Verstoß gegen die nationale Sicherheit zu zehn Jahren Haft plus fünf Jahren Verbannung verurteilt.

Rafsandschani stammt aus der Provinz. Der nun siebzigjährige Geistliche mit weißem Turban und schwarzem Umhang wurde im August 1934 in Bahreman, nahe der im Süden des Landes am Saum der Wüste gelegenen Stadt Rafsandschan geboren. Sein Vater war Besitzer von Pistazienfeldern. Unter seinen neun Geschwistern war er der Einzige, der sich der Theologie zuwandte. Ende der 50er-Jahre zog er in die heilige Stadt Qom und ging bei Ajatollah Chomeini in die Lehre. Als dieser 1964 verbannt wurde, schloss sich Rafandschani dem Netz von religiösen Aktivsten gegen das Schahregime an. Sein Name tauchte zum ersten Mal kurz in den Medien auf, als er verhaftet wurde. Drei Jahre lang verbrachte er in Haft, danach arbeitete er offiziell als Prediger und setzte im Untergrund die politischen Aktivitäten fort. Er war vorwiegend für die Beschaffung von Finanzmitteln zuständig und wurde deshalb „Chomeinis Bankier“ genannt.

Nach Chomeinis Machtübernahme im Februar 1979 wurde er Mitglied des Revolutionsrats. Sein erster öffentlicher Auftritt setzte Zeichen. Vor einer Massenversammlung rechnete er mit der Opposition ab. „99 Prozent unseres Volkes unterstützt die Revolution“, sagte er. „Daneben gibt es eine winzige Minderheit bestehend aus Anhängern des gestürzten Regimes, Mitgliedern westlicher und östlicher Geheimdienste und ein paar Gruppen mit vorgefertigten Ideologien. Diese schwer wahrnehmbare Minderheit glaubt, durch Verschwörungen und Verrat unsere Revolution in Verruf bringen zu können.“ Er drohte, der „Strom der Volksmassen“ werde diese „Feinde des Islams wie stinkenden Schlamm hinwegschwemmen“.

Wenige Monate später wurde er Innenminister, danach Parlamentspräsident und während des Kriegs gegen den Irak zugleich Beauftragter des Revolutionsführers für die Führung der Streitkräfte. Obwohl der Irak bereits nach sechs Monaten zu einem Waffenstillstand bereit war, plädierte er für die Fortsetzung des Krieges, der acht Jahre lang dauerte. Damit hat er neben der Hinrichtung von zehntausenden von Oppositionellen in den ersten Jahren der Revolution auch die Kriegsopfer mitzuverantworten. 1989 wurde er mit 94,5 Prozent der Stimmen zum Staatspräsident gewählt, 1993 für weitere vier Jahre in seinem Amt bestätigt.

Geld und Macht

Rafsandschani ist es gelungen, mit Hilfe eines Netzes von Gefolgsleuten politisch seine Macht zu festigen. Seine Zöglinge sitzen an den wichtigsten Schaltstellen. Das Ölministerium sowie das Ministerium für Wirtschaft und Finanzen befinden sich in der Hand von seinen engsten Verbündeten. Auch wirtschaftlich hat er beachtliche Erfolge erzielt. Der Gottesmann, der einst für ein Handgeld den Gläubigen himmlische Botschaften verkündete, besitzt inzwischen ein Vermögen, das auf mehr als eine Milliarde Dollar geschätzt wird. Er ist der größte Pistazienexporteur Irans. Ihm und seiner Familie gehören mehrere Touristenzentren im In- und Ausland. Sein ältester Sohn Mohsen baut die Teheraner U-Bahn, sein zweiter Sohn Mehdi macht Geschäfte mit Erdgas und Erdöl, sein jüngster Sohn besitzt große Weideländer, seine beiden Töchter Faezeh und Fatemeh sind im In- und Ausland im Immobilienbereich tätig. Rafsandschanis Vettern und Kusinen, Neffen und Nichten besitzen dominierende Anteile der inländischen Autoindustrie, des Exports von Pistazien und Safran, des Imports von Fahrzeugen, Papier und Maschinen. Weite Teile des iranischen Schwarzmarkts werden vom Rafsandschani-Clan beherrscht.

Sein politischer Standort ist schwer auszumachen. Der gerissene Demagoge, der gewiefte Taktiker ist wie ein Fisch, der einem unter der Hand wegschlüpft, ein Pragmatiker, wenn es um den Erhalt seiner eigenen Macht und Interessen geht, ein fundamentalistischer Ideologe, wenn er seine Feinde bekämpft, und ein Reformer, wenn er seine Basis schwinden sieht. Während des iranisch-irakischen Krieges beschimpfte er die USA und Israel als große und kleine Teufel, war aber zur selben Zeit bereit, mit ihnen im Geheimen Waffengeschäfte zu machen. Bei der so genannten Iran-Contra-Affäre, bei der die USA durch Waffenverkäufe an den Iran die Contras in Nicaragua unterstützten, war er der wichtigste Partner Washingtons auf iranischer Seite.

Hass und Hoffnung

Als die US-Regierung unter Bill Clinton die ersten Kontakte zur Regierung Chatami anknüpfte, schürte Rafsandschani durch Intrigen das Feuer der Feindschaft. „Die Amerikaner sind dumm“, sagte er. „Sonst würden sie mit jenen verhandeln, die in diesem Land das Sagen haben.“ Anfang Februar antwortete er in einem Interview mit USA Today auf die Frage, ob er der einzige Politiker Irans sei, der die Konflikte mit den USA lösen könne: „Nicht der Einzige, aber einer von den wenigen.“

Seit dem Sieg der Konservativen bei den manipulierten Parlamentswahlen vor einem Jahr, bei denen im Vorfeld über 2.000 Kandidaten der Reformer vom Wächterrat abgelehnt wurden, ist in Iran so gut wie alles ins Stocken geraten. Chatamis Reformregierung und das von Konservativen beherrschte Parlament blockieren sich gegenseitig. Außenpolitisch steckt Iran in einer tiefen Krise. Der Konflikt um das iranische Atomprogramm und die Vermutung vor allem der USA, Iran plane den Bau von Atombomben, könnte zu internationalen Sanktionen oder gar zu einem militärischen Angriff führen.

Je größer die Gefahr, desto lauter der Ruf nach einem starken Mann. Dieser Mann, lässt Rafsandschani von seinen Anhängern verkünden, sei niemand anders als er. Zwar ist er der am meisten verhasste Politiker im Land. Dennoch denken inzwischen viele, er könnte das kleinere Übel sein. Denn im Gegensatz zu den konservativen Hardlinern, die von Rückkehr zu den ersten Jahren der Revolution träumen, werde er, schon aus eigenem Interesse, die Wirtschaft wieder ankurbeln, die Beziehungen zum Ausland, vor allem zu den USA, regeln und die Tore des Landes für ausländisches Kapital öffnen. „Er ist zwar ein brutaler und erbarmungsloser, aber ein guter Geschäftsmann“, wird argumentiert.

Tag für Tag berichten die Medien, dass Parteien, Gruppen, Verbände den „erfahrenen, mächtigen Politiker“ bitten, zu kandidieren. Aber er lässt sich Zeit. „Ich bin sehr besorgt, sagte er immer wieder. Aber ich werde bis zum letztmöglichen Termin abwarten. Vielleicht findet sich doch einer, der das Ruder in die Hand nehmen könnte.“

Die Taktik zeigt Erfolg. Sowohl die Konservativen wie die Reformer blamieren sich immer mehr mit ihren Kandidaten, die im Vergleich zu dem großen Meister wie Zwerge aussehen. Rivalitäten und Streitigkeiten haben in beiden Lagern bereits zu Spaltungen geführt. Rafsandschani lacht sich ins Fäustchen. Er kann warten. Den besten Wahlkampf machen andere für ihn.