Die Wahl, der Papst und Karl Marx

Wo ist Rüttgers? In der letzten Sitzungswoche des Landtags verschwindet der Oppositionsführer. Die SPD sorgt sich wieder um die „kleinen Leute“, die FDP um „verschreckte Investoren“, die CDU um alle

AUS DÜSSELDORFANDREAS WYPUTTA

Ein Gespenst geht um in Nordrhein-Westfalen: Der Marxismus. CDU und FDP haben gestern versucht, die wahlkampftaktische Kapitalismuskritik des SPD-Bundesvorsitzenden Franz Müntefering zu Angriffen auf die rot-grüne Koalition zu nutzen. Die Äußerungen Münteferings, der institutionelle Investoren mit „Heuschrecken“ verglichen hatten, die ohne Rücksicht auf die Beschäftigten agierten, seien „ein Schlag ins Gesicht für alle ehrlichen und fleißigen Unternehmer“, jammerte FDP-Fraktionschef Ingo Wolf zu Beginn der letzten Sitzungswoche des Landtags in dieser Legislatur. Nordrhein-Westfalens SPD-Regierungschef Peer Steinbrück müsse sich von den „Klassenkampfparolen vergangener Tage distanzieren“, so der liberale Großverdiener, der durch Bezüge aus laufenden und früheren öffentlichen Ämtern jährlich mehr als 230.000 Euro aus der Staatskasse saugt.

Mitten im Wahlkampf, bedrückt von miesen Umfragen ließ sich die SPD nicht lange bitten: Von der Wirtschaft müsse mehr kommen als ein „ewiges Lamento“, konterte der Ministerpräsident. „Das Gaspedal kann nicht immer weiter durchgedrückt werden, egal, ob da hinten ein paar Waggons aus den Gleisen springen“, sagte Steinbrück – und meinte wohl die über eine Million Arbeitslosen in dem von ihm regierten Bundesland. Der stellvertretende SPD-Parteichef Karsten Rudolph zitierte aus FDP-Parteiprogrammen aus den Siebzigern, als „die FDP noch eine Partei war“ und mit der SPD koalierte: „Was wir machen, ist nicht Marx, sondern war auch einmal ihr Programm.“ Und SPD-Fraktionschef Edgar Moron liebt es lieber klassisch und zitierte in einer nachgeschobenen Presseerklärung „den verstorbenen Papst Johannes Paul II“ mit seiner Enzyklika „Centesimus annus“, in der die Verantwortung der Unternehmen angemahnt wurde.

Einer aber fehlte: CDU-Spitzenkandidat Jürgen Rüttgers ergriff nicht das Wort, verließ lieber schnell den Saal. Rüttgers‘ wiederholt geäußerte These, zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit müsse ohne jeden Lohnausgleich nur mehr gearbeitet werden, blieb so ungesagt. Stattdessen durfte CDU-Wirtschaftsexperte Christian Weisbrich Verständnis für Unternehmer äußern, die Arbeitsplätze ins Ausland verlagerten. „Das geschieht doch nicht aus Böswilligkeit.“ In Nordrhein-Westfalen ließe sich „einfach kein Geld mehr verdienen“. Um den Herausforderungen der Globalisierung zu begegnen, müssten die Kompetenzen der Landesregierung in die Regionen verlagert werden, forderte Weisbrich ohne jede inhaltliche Begründung. „Wo ist Rüttgers“, skandierten unterdessen die Abgeordneten der rot-grünen Koalition.

„Nicht einmal zum Standort NRW hat Rüttgers etwas zu sagen“, lästerte auch Rüdiger Sagel, wirtschaftspolitischer Sprecher der Grünen. Die CDU verkörpere mittlerweile den neoliberalen Mainstream. Und die Landtagswahl ist für Sagel eine Richtungsentscheidung zwischen „rheinischem und angloamerikanischem“ Kapitalismus. „Es geht um die soziale Marktwirtschaft“, beschwor Sagel weniger die Parlamentarier als vielmehr die Wählerinnen und Wähler. Weiter mit Wahlkampf, vorwärts und nicht vergessen.