Im Raumschiff Ministerium

Völlig abgehoben von der Schulrealität gebiert sich der niedersächsische Kultusminister mit seinen Reformen – findet nicht nur die Opposition, sondern auch die Regierungsfraktionen und das Kabinett

von Kai Schöneberg

Fürs Aussitzen lästiger Attacken von Opposition und Verbänden kassieren Politiker zumal des Regierungslagers ja Diäten. Darüber nachdenken, ob das Schmerzensgeld reicht, könnte derzeit Niedersachsens Kultusminister Bernd Busemann (CDU): Weil seine Schulreformen zu viel Staub im Land aufwirbeln, steht der jetzt selbst bei den sonst für Nibelungentreue bekannten Schwarz-Gelben unter Beschuss.

Abi nach 12 Jahren, Abschaffung der Orientierungsstufe, Reform der Oberstufe, Schulinspektoren, das ewige Hü und Hott um den Stand der Unterrichtsversorgung: In den gut zwei Jahren seiner Amtszeit hat Busemann die Klassenzimmer mit Reformen geradezu geflutet. Die pädagogische Arbeit werde durch die „unzähligen Erlasse und Verordnungen“ sogar „blockiert“, meinte gestern gestern der SPD-Schulexperte Wolfgang Jüttner im Landtag in Hannover.

„Sehr, sehr ernst“ nehme er die Klagen der Schulen, die sich „überfordert fühlen“, sagte sogar der Schulamtsdirektor a. D. und CDU-Fraktionsvize Karl-Heinz Klare. Noch distanzierter war der FDP-Schulexperte Hans-Werner Schwarz: Auch die Liberalen seien für mehr Eigenverantwortlichkeit der Schulen. Erst mal bräuchten die aber „wieder Luft zum Atmen – das heißt Ruhe zum Arbeiten.“

Der gestaute Unmut hatte sich vergangene Woche am Modellprojekt „eigenverantwortliche Schule“ entzündet. Das „Raumschiff Kultusministerium“ ziehe seine Bahnen weit entfernt vom Schulalltag, ätzte der ansonsten pflegeleichte Philologenverband und forderte, Busemann solle alles umgehend stoppen. Nur mit Mühen hatte der Minister 130 der 3.500 Schulen im Land, davon viele aus seiner Heimatregion Emsland, zur Teilnahme am Projekt der Bertelsmann-Stiftung verdonnern können.

Dass die Schulen stärker über Personal, Unterrichtsorganisation und Verwendung ihres Budgets bestimmen sollen, sei im Kern „vernünftig“, meinte Jüttner. „Aber es wird so dilettantisch behandelt, dass wir Gefahr laufen, uns für die nächsten Jahre aus der Modernisierung zu verabschieden.“

Gegen Eigenverantwortlichkeit hat auch die Grüne Ina Korter eigentlich wenig einzuwenden. Allerdings verstehe Busemann darunter wohl, die Schulleitungen zu stärken. Das Mitspracherecht von Lehrern, Eltern und Schülern sei in Gefahr, wenn es sogar Überlegungen gebe, die Gesamtkonferenzen abzuschaffen. Busemann sagte dazu kleinlaut, erst nach einem Experten-Hearing im Juni werde das Vorgehen besprochen. Und klar, dass er die Pisa-Keule hervorholte: Im Jahr 2002 habe Niedersachsen noch hinter Polen gelegen. Deshalb: „Über das Reformtempo kann man mit mir reden. Aber nicht darüber, dass am Ende alles bleibt, wie es ist“. Auch seine Kabinettskollegen wollen nicht, dass alles bleibt.

Ausgerechnet in der Schulpolitik kassierte die Strahleregierung von Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) nämlich miese Umfrage-Noten. Vor Wochen hatte Wulff öffentlich „Unruhe“ in den Schulen registriert. Fast noch ungewöhnlicher, dass die Prügel, die Busemann vergangenen Dienstag im Kabinett bezog, in die Zeitungen gelangte: Wulff und Vize Walter Hirche (FDP) hatten Busemann für seinen Aktionismus beim Aufbau der Schulinspektionen abgekanzelt.