Revanchismusfreundliche Politik

betr.: „Es gab doch keine Tabus“, Interview mit Helga Hirsch und Norbert Frei, taz vom 8. 4. 05

Was vor allem unangenehm überrascht, ist der nur auf Erfahrung ihrer eigenen Generation fokussierte und unzulässig verallgemeinernde Blick von Helga Hirsch. Von Tabuisierung der Problematik der Vertreibung kann man wirklich nicht sprechen, bedenkt man nur die Stellung und Bedeutung des Bundes der Vertriebenen in der alten BRD. Freilich bis in die Neunzigerjahre standen im Vordergrund der politischen Arbeit dieser Verbände nicht die Selbstdarstellung der Vertriebenen als Opfer, sondern „aggressive“ Themen wie Unrecht der Vertreibung, Recht auf Heimat („Schlesien ist unser“ noch in den späten Siebzigerjahren!), d. h. im Klartext Recht auf Rückkehr. Gerade diese revanchismusfreundliche Politik der Vertriebenenverbände und die braune Vergangenheit einiger ihrer Funktionäre führten dazu, dass viele demokratisch gesinnte Deutsche, selbst viele Vertriebene, mit den Vertriebenenverbänden nichts zu tun haben wollten – das ist doch das Problem.

Erst in den späten 90er-Jahren tritt auch in den Vertriebenenverbänden, im Zusammenhang mit dem gesamtgesellschaftlichen Diskurs (Bombenholocaust etc.) und vor allem, nachdem sich die Möglichkeit der Durchsetzung der Ansprüche und Entschädigungen über einen Rechtsweg als unrealistisch erwiesen hat, die Selbstdarstellung als Opfer mehr in den Vordergrund. Opfer impliziert unschuldig sein, vor allem aber die Identifizierung der Täter und macht eine Umkehrung des Opfer-Täter-Verhältnisses möglich. Und dies macht die Diskussion über die Deutschen als Opfer so gefährlich und unerträglich. So militant und rechthaberisch, wie man früher das Recht auf Heimat proklamierte, beansprucht man jetzt das Recht ein Opfer zu sein. Erstaunlicherweise sind es aber gerade diejenigen, die wirklich das Recht hätten sich als Opfer zu verstehen, die deutschen Antifaschisten z. B. aus den Sudeten, die Henlein- und Hitler-Gegner, die nach dem Kriege das Schicksal der Vertriebenen teilten, die sich nie als Opfer bezeichnen würden. Warum wohl? Weil sie die Verantwortung für ihr Leben und Handeln nicht an ein Regime abgegeben hatten.

Erstaunlicherweise haben sich einige Menschen, die früher sehr distanziert der Landsmannschaft gegenüberstanden, nach 1989 stark auf die Vertriebenenverbände zubewegt, z. B. auch Peter Glotz, der heute zu den prominenten Verfechtern des Zentrums gegen Vertreibungen von Erika Steinbach gehört. Das wäre vor 1989 nicht möglich gewesen. Es wäre einer Überlegung wert, warum es so ist.

Bei H. Hirsch sehe ich eine ähnliche Tendenz, Anpassung an Mainstreaming, Stimmungen, Atmosphären. In dem Gespräch wird auch kein Unterschied gemacht zwischen den einzelnen Vertreibungen, ob es die Folge der Grenzverschiebung war, wie in Polen, oder des Scheiterns des Zusammenlebens zweier Nationen, wie bei der Zwangsaussiedlung der Deutschen aus der Tschechoslowakei. Nach den Erfahrungen mit der Henlein-Bewegung und dem Münchener Abkommen sah man in der deutschen Bevölkerung die Bedrohung der Weiterexistenz des Staates. Darüber fällt in dem Gespräch kein Wort, es wird aber illustriert mit den Fotos der Vertreibung ausschließlich aus der Tschechoslowakei. Vielleicht interessiert in diesem Zusammenhang, dass die Stiftung Charta 77 in diesem Jahr den Frantisek-Kriegel-Preis den ehemaligen tschechoslowakischen Antifaschisten deutscher Nation verliehen hat. Von diesen Menschen wollte z. B. die Sudetendeutsche Landsmannschaft nie etwas wissen.

ALENA WAGNEROVÁ