Drei Botschafter, drei Versionen

Diplomaten im Visa-Ausschuss: Der frühere AA-Abteilungsleiter kann sich an nichts erinnern. Der Exbotschafter in Moskau sagt, er habe Erlasse aus Berlin ignoriert. Der Botschafter in Kiew beschuldigt „die Zentrale“, Warnungen ignoriert zu haben

AUS BERLIN CHRISTIAN FÜLLER
UND LUKAS WALLRAFF

Der Mann ist Botschafter am Heiligen Stuhl. In wenigen Stunden wird Gerd Westdickenberg wieder nach Rom zurückfliegen, um Deutschland bei der Inauguration des deutschen Papstes Benedikt XVI. zu repräsentieren. Vorher aber muss der Diplomat noch im Visaausschuss des Bundestags aussagen – und sich an schlechte Manieren gewöhnen.

„Wir wollen heute noch wichtige Zeugen hören“, unterbricht ihn der Vorsitzende Hans-Peter Uhl (CSU) nach wenigen Sätzen. „Bitte beziehen Sie sich bei Ihren Antworten nur auf den Untersuchungsgegenstand.“

Uhl war früher Kreisverwaltungsreferent in München, eine Art Innenminister der bayerischen Landeshauptstadt. Mit seinen Methoden mag er es geschafft haben, einen jugendlichen Serienstraftäter wie Mehmet einzuschüchtern. Bei dem deutschen Gesandten des Papsts gelingt ihm das nicht. Mit stoischer Ruhe unterscheidet Westdickenberg zwischen seiner Erinnerung und dem, was er in den vergangenen Tagen in den Akten nachgelesen habe.

Der frühere Leiter der Rechtsabteilung des Auswärtigen Amtes ist einer der wichtigsten Zeugen. Er hat zwei jener Erlasse redigiert und verantwortet, mit denen sich die Visapraxis in den Jahren 1999/2000 so änderte, dass zigtausende Einreisedokumente eher vage geprüft wurden. Für die Sicherheitsbehörden steht fest, dass sich kriminelle Banden der rot-grünen Visavergabe bemächtigten und so Frauen und Männer zur illegalen Beschäftigung nach Deutschland einschleusten. Aber Westdickenberg kann (oder mag) sich offensichtlich nicht erinnern. Nicht an die Erlasse als solche, schon gar nicht an Details. „Ich bin nicht in der Lage“, sagt der 61-jährige Diplomat, „aus der Erinnerung die Veränderungen [des Erlasses; d. Red.] zu benennen.“

CDU-Obmann Eckardt von Klaeden wirft Westdickenberg ein „erstaunliches Maß an Gedächtnisschwund“ vor. „Das kann’s ja wohl nicht gewesen sein“, kommentiert der Vorsitzende Uhl unwirsch eine Erinnerungslücke – bis sich sein Stellvertreter, der Zweite Vorsitzende des Ausschusses, Volker Neumann (SPD), schützend vor den Botschafter stellt. „Wir sind gehalten, Zeugen nicht bloßzustellen“, sagt Neumann und beantragt eine Beratungssitzung. „Das ist eine Riesensauerei“, poltert von Klaeden. Rot-Grün versuche durch taktische Tricks, die Vernehmung weiterer Zeugen zu verzögern. Von Klaeden bezieht das auf einen vermeintlichen Kronzeugen der Union, den früheren Botschafter in Moskau, Ernst-Jörg von Studnitz, der als Nächster an der Reihe ist. Der Pensionär Studnitz freilich, der im Jahr 2000 scharf gegen die rot-grüne Visapolitik protestierte, äußert sich nun sehr differenziert. Studnitz sagt aus, der Volmer-Erlass, im Zweifel für die Reisefreiheit zu entscheiden, sei nicht rechtswidrig gewesen.

Dass es in Moskau nach den rot-grünen Erlassen nicht zu einem extremen Anstieg der Visazahlen, wie etwa in Kiew, kam, führt Studnitz darauf zurück, dass seine Leute manche Anweisungen schlicht ignoriert hätten. Man habe einfach so genau geprüft, wie man es für richtig gehalten habe. Beim Hinausgehen sagt er in die Mikrofone, er halte die Aufregung um die Visa-Missstände für „nicht angemessen“.

Nach ihm kommt der amtierende Botschafter in der Ukraine, Dietmar Stüdemann. Er muss erklären, warum gerade in Kiew die Visazahlen extrem in die Höhe schnellten. Er beschuldigt „die Zentrale“ in Berlin, schlechte Erlasse verfügt zu haben, die „nicht praktikabel“ gewesen seien. Auf seine Warnungen und Berichte sei nicht reagiert worden: „Die Zentrale hat uns nicht unterstützt.“ Daraufhin versuchen die rot-grünen Ausschussmitglieder nachzuweisen, die Schuld an mangelhafter Bearbeitung von Visa habe in Kiew gelegen. Stüdemann wehrt sich, geht aber, zumindest in den ersten Stunden der Vernehmung, nicht so weit, Fischer direkt anzugreifen. Er habe mit dem Minister nie persönlich über die Visaprobleme gesprochen und er wisse nicht, wann Fischer oder Exstaatsminister Ludger Volmer davon erfahren habe. Vielleicht wird man das ja heute erfahren, wenn Volmer aussagt.

Heute ab 9 Uhr auf Phoenix: Visa-Untersuchungsausschuss