Kein sanfter Lächler im Weinberg

Die so wichtige Ökumene wurde von Ratzinger fast mutwillig beschädigtJohannes Paul II. betonte auch stets,er wolle doch nurdas Konzil umsetzen

VON PHILIPP GESSLER

Dies ist die Zeit der wirren Mythen und irren Hoffnungen – hoffen wider alle Hoffnung, um es biblisch zu sagen. Aber vielleicht ist es besser, mit Bibelwörtern (hier: Paulus an die Römer, 4,18) sparsam zu sein, denn man kann sie gut verstehen, die vielen, die der Kirchenthemen und Jesusworte nach drei Wochen 24-Stunden-Standleitung nach Rom überdrüssig sind.

Dennoch bleibt die Frage, warum unmittelbar nach dem Konklave so viele Katholiken und Politiker hoffen, der neue Papst Benedikt XVI. könnte plötzlich ganz anders sein als jener Kardinal Joseph Ratzinger, der im Amt des Leiters der Glaubenskongregation einer der striktesten Hardliner in der nicht gerade übermäßig liberalen Kirche Roms war? Ratzinger war über Jahrzehnte, wie das britische Boulevardblatt Daily Telegraph so treffend schrieb: „Gottes Rottweiler“.

Zeit wäre es, die Mythen und Hoffnungen zu zerstreuen, die sich jetzt schon an Benedikt XVI. knüpfen, gerade weil wir über seine Ziele noch fast nichts wissen und bisher kaum etwas erfahren haben:

Mythos I: Der neue Papst ist Deutscher, wird sich deshalb mehr um die deutsche Kirche und ihre Nöte kümmern.

Das ist unwahrscheinlich: Ratzinger war seit 1981 als Präfekt der Glaubenskongregation die rechte Hand, ja zunehmend ein Vertrauter Wojtyłas und über eifrige Zuträger bestens über die Lage in Deutschland informiert. In dieser Zeit wurden Bischöfe gegen den ausdrücklichen Wunsch der deutschen Kirchenbasis installiert. Die im Land der Reformation so wichtige Ökumene wurde von Ratzinger fast mutwillig beschädigt durch das Schreiben „Dominus Iesus“ und die Abstrafung der beiden katholischen Priester, die am Rande des Ökumenischen Kirchentags das evangelische Abendmahl nahmen beziehungsweise die katholische Eucharistie an Protestanten austeilten. Dringende Appelle von deutschen Bischöfen und Laienverbänden, auch wieder verheirateten Geschiedenen die Eucharistie zu erlauben, wenigstens das Diakonat von Frauen und das Zwangszölibat diskutieren zu lassen, wies Ratzinger ohne großes Federlesen ab. Beim jahrelangen Streit um einen Ausstieg aus dem staatlichen System der Schwangerenkonfliktberatung setzten sich Johannes Paul II. und sein williger Vollstrecker Ratzinger gegen die Mehrheit der deutschen Bischöfe fast brutal durch. Ratzinger war über die deutschen Diskussionen stets auf dem Laufenden, ließ den mehrmals nach Rom zur Vermittlung eilenden Bischof, später: Kardinal Karl Lehmann, regelmäßig abblitzen – und zeigte in der Sache keine Gnade. Warum sollte die deutsche katholische Kirche von diesem deutschen Papst nun profitieren?

Mythos II: Benedikt XVI. war so bescheiden in seinen ersten Worten auf dem Balkon. Er könnte weniger herrschen als dienen und zuhören.

Die ersten Sätze des neu gewählten Papstes sind kaum aussagekräftig. Dass er sich als „einfacher und bescheidener Arbeiter im Weinberg des Herrn“ und „ungenügendes Werkzeug“ in der Hand Gottes bezeichnete, gehört zum Einmaleins traditioneller Demutsgesten eines neuen Pontifex Maximus, und zwar seit Jahrhunderten. Solche aus der Bibel entnommene Worte der Bescheidenheit sagen über die zukünftige Herrschaftsform so gut wie nichts aus. Auch Johannes Paul II. zeigte sich anfangs verschüchtert und demütig auf dem Balkon. Betonte, er habe Angst gehabt, die Wahl anzunehmen – und führte dann doch die Kirche zentralistischer und autoritärer als seine drei Vorgänger. Die Worte Benedikt XVI. sind schönes, frommes und ganz traditionelles Blabla, programmatisch sind sie höchstwahrscheinlich nicht.

Mythos III: Mit dem Namen „Benedikt“ wolle Ratzinger signalisieren, dass er sich vor allem um die Neu-Evangelisierung Europas kümmern wolle, schließlich sei Benedikt von Nursia der Patron Europas. Außerdem sehe er sich in der Tradition des „Friedenspapstes“ Benedikt XV., werde sich also zudem stark um den Frieden kümmern.

Dass Ratzinger das Thema Christentum in Europa wichtig findet, hat er in mehreren Reden bewiesen. Gleichzeitig aber hat er offensichtlich mit dem Konzept der Volkskirche in Europa abgeschlossen. Ihm schwebt eher eine Kirche der reinen, streng gläubigen Minderheit von Christen vor – und dass die Zukunft der Kirche viel mehr im Süden der Welt als im schwächelnden Norden liegt, hat er ebenfalls mehrfach gesagt. Dass er sich für den Frieden einsetzen werde, versteht sich von selbst, das haben alle Päpste des 20. Jahrhunderts getan, oft wortgleich. Und erinnert sei auch an Johannes Paul II.: Das Erbe der Konzilspäpste Johannes XXIII. und Paul VI., nach denen er sich nannte, verriet Wojtyła fast komplett.

Mythos IV: Benedikt XVI. ist gerade als Hardliner fähig, Reformen anzufangen – zumal er jetzt nicht mehr oberster Chefideologe, sondern „Brückenbauer“, Pontifex eben, sei.

Dies gleicht der Hoffnung, die manche bei Beginn der zweiten Amtszeit von US-Präsident George W. Bush und der ersten von Israels Premier Ariel Scharon hatten. Dass diese Hoffnungen sich bewahrheitet haben, können nur Hardcore-Optimisten behaupten. Die Beteuerung von Benedikt XVI. in seiner ersten Predigt gestern Morgen, er wolle weiter die Vorgaben des reformorientierten Zweiten Vatikanischen Konzils umsetzen, schränkte er mit den Worten ein: „in der Nachfolge meiner Vorgänger und in getreuer Kontinuität mit der 2.000 Jahre alten Tradition der Kirche“. Johannes Paul II. betonte auch stets, er wolle doch nur das Konzil umsetzen. Und der Verweis auf die 2.000-jährige katholische Tradition lässt Böses ahnen. Benedikt XVI. hob in der Predigt zwar hervor, dass die „Einheit der Christen“ seine „Hauptaufgabe“ sei – gleichzeitig aber spricht er von den „kirchlichen Gemeinschaften“, die er bei der Ökumene erreichen will. Das klingt wieder nach Ratzinger, der den protestantischen Kirchen in „Dominus Iesus“ ihr Kirchesein absprach. Viel Hoffnung sollten sich die Kirchen Luthers nicht machen.

Mythos V: Er hat auf dem Balkon gelächelt und sei doch eigentlich warmherzig im persönlichen Umgang. Das spreche dafür, dass sein Pontifikat keineswegs so kalt werde, wie viele befürchten.

Dass jemand freundlich lächelt, wenn ihm Tausende nach einem anstrengenden Wahlprozess zujubeln, dürfte nicht überraschend sein. Auch Johannes Paul I. und II. lächelten so nett. Letzterer lächelte sogar 26 Jahre lang fast allen zu – was ihn nicht hinderte, Wünsche nach innerkirchlicher Reform ziemlich kalt und autoritär zu unterbinden. Mit Hilfe Ratzingers übrigens. Wer ihn einmal warm und herzlich erlebt hat, muss einen sehr guten Tag erwischt haben.