Küchen schaden der Kunst

ART FOR ALL Julian Cole entwirft in seiner Dokumentation „With Gilbert & George“ ein freundschaftliches Künstlerporträt

Das in seiner Rolle als lebendes Kunstwerk unübertroffene Post-Pop-Pärchen in identischen Anzügen

VON BRIGITTE WERNEBURG

1975 kauften Gilbert & George das alte baufällige Haus im Londoner Stadtteil Spitalfields, in dem sie seit 1968 wohnten. In dreijähriger Arbeit renovierten sie das viktorianische Haus originalgetreu – allerdings verzichteten sie vollständig auf die Küche. Eine kleine Ecke mit einem Wasserkocher reicht den beiden, um Nescafé zu machen, Teebeutel zu überbrühen und Champagnergläser abzustellen. Nach ihrem Dafürhalten stiehlt eine Küche, also Einkaufen, Kochen und Aufräumen, der Kunst nur unnötig Zeit. Überhaupt ist eine Küche, wie man dank Liam Gillick und der Biennale von Venedig inzwischen weiß, kein Glück für die Kunst. Anders als die Kunst ist eine Küche eben eine restlos private Angelegenheit.

Folgerichtig kennt, wer keine Küche hat, kein Privatleben. Insofern führt das Versprechen eines Blicks hinter die Kulissen des Lebens als Künstlerpaar, mit dem Julian Coles Langzeitbeobachtung beworben wird, in die Irre. In dieser Hinsicht ist nichts zu gewinnen. Nur öffentlich lassen die beiden grauen älteren Herren ihre Hosen runter, von dekorativen Kotsäulen ornamental umrankt und mit Bildtiteln wie „Naked Suit“, „Naked Shit“ und „Eight Shits“ (1994) versehen.

Aber die Kontroversen um die Bilder, der Vorwurf der Scharlatanerie oder die Versuche, das Paar als Ironiker des Kunstbetriebs zu entlarven, interessieren Julian Cole, der den beiden Anfang 1986 erstmals Modell stand und dabei auf die Idee kam, sie seinerseits zu seinen Protagonisten zu machen, nur ganz am Rande. Cole, der mit Derek Jarman und Gus van Sant arbeitete, setzt seinen dramaturgischen Einfallsreichtum ein, um ein wenn auch nicht privates, so doch freundschaftlich-intimes Filmporträt zu schaffen.

Dazu trägt sicher auch bei, dass es Gilbert & George selbst sind, die in klarem, wohl erwogenem und dabei leichthin plauderndem Redefluss ihre künstlerische Biografie selbst erzählen. Etwa wie es dazu kam, dass sich die beiden frisch graduierten Bildhauer Gilbert Proesch und George Passmore 1972 dabei filmen ließen, wie sie in der Bildsprache der Fernsehreklame eine Flasche Gordon’s Extra Dry London Gin leerten. Wie sie tadellos gekleidet, bei pathetischer Musik an einem kleinen Couchtisch sitzen, rauchen und todernst ein mit der farblosen Flüssigkeit gefülltes Glas nach dem anderen trinken und nur eine vornehme Stimme aus dem Off den Vorgang erläutert: „Gordon’s makes us drunk“, was in Abständen mit einem jedes Mal hinzugefügten „very“ vor dem Partizip wiederholt wird.

Zuvor hatten sie im Kontext eines sich rasant erweiternden Kunstbegriffs als Singing Sculpture mit dem Liedchen „Underneath the arches I dream my dreams away“ Furore und auch so viel Geld gemacht, dass sie es sich erstmals leisten konnten sich anständig zu betrinken, was sie fortan jeden Tag taten. „Wir waren nicht länger bereit, unsere Schwächen, sexuellen Vorlieben, Gedanken, und Leiden und alles, was zum Menschsein gehört, zu verstecken“: Diese Maxime begründete nicht nur die ersten Performance-Auftritte, sondern überhaupt die dauerhafte künstlerische Liaison des Paares, das sich Mitte der 60er-Jahre am Central Saint Martins College of Art and Design kennenlernte.

Seitdem kennt die internationale Kunstszene das als lebendes Kunstwerk unübertroffene Post-Pop-Pärchen in identischen Tweedanzügen, das dann auch mit zweidimensionalen Fotoarbeiten arbeitete, für deren Entstehen es sich eines mehrere hunderttausend Negative umfassenden Archivs bediente. Aus den selbst aufgenommenen Fotos komponieren Gilbert und George jene – später dann kolorierten – großformatigen, in ein modernistisches, schwarzes Gitterraster gefügten Polyptychen, die den Zustand der Welt aus ihrer Sicht beschreiben.

Waren es in den 70er- und 80er-Jahren noch deutlich politische Themen (Class War, 1986), nehmen ihre Bilder seit den 80er-Jahren einen sehr konkreten sexuellen Charakter an. Aber auch dabei bleiben sie politisch und sympathisieren mit den sozial, ethnisch oder sexuell als minoritär Definierten.

Als eine Art freundliche Türdrücker der Aufklärung mit ihrem Pamphlet „art for all“ in der Hand, meinen sie: „Wenn ein Bild Informationen gibt, gewinnt der Betrachter dadurch Verständnis für bestimmte Sachverhalte des Lebens. Und wer Verständnis hat, wird toleranter. Und wer toleranter wird, liebt mehr. Und von der Liebe hängt doch alles ab, Liebe führt zur Erneuerung.“

■ „With Gilbert & George“. Buch/Regie: Julian Cole. GB 2007, 104 Min.