Frauen durften gehen

Beim Nordderby Bremen-Hamburg steckte die Hamburger Polizei 70 Werder-Fans hinter Gitter. Reine Willkür, beteuern die. Ihr Verein zuckt mit den Schultern: für ihn ist der Polizeibericht „maßgeblich“

von Armin Simon

Für Enno W. war es ein Nord-Derby der besonderen Art. Hamburger Sport-Verein gegen Werder Bremen, Südtribüne der AOL-Arena, Gästestehblock 14 A sollte es werden, die Karte für 15 Euro, Anfahrt mit dem Zug. Der letzte Punkt zumindest klappte.

Denn schon am Ausgang des Hamburger Hauptbahnhofs startet für W. und gut hundert weitere Werder-Fans ein Alternativprogramm. Schlagstöcke sausen, mehrere Verletzte müssen ärztlich versorgt werden. Eine Handvoll Werderaner, so erzählt man, habe wohl versucht, durch eine Polizeiabsperrung hindurch zur U-Bahn zu gelangen, im Polizeibericht heißt es, mit Bier gefüllte Pappbecher seien in Richtung der Uniformierten geflogen. W. steht ganz hinten, das grüne Aufgebot beunruhigt ihn nicht. Nordderbys sind Spiele der Sicherheitsstufe I. „Ich habe gedacht, dass es gleich weitergeht“, sagt W.

Ging es aber nicht. Anderthalb Stunden, berichtet ein anderer Fan, habe man die Menschen auf dem Bahnhofsvorplatz im Unklaren gelassen, eingekesselt von immer mehr PolizistInnen. Weg kommt nur, wer es rechtzeitig versucht – und wer nicht allzu sehr als Fußballfan gekleidet ist.

Eine Stunde vor Anpfiff heißt es: „Frauen und Kinder dürfen gehen.“ Dem Rest spendieren die Uniformierten eine Bustour durch Hamburg, die Linie laut Anzeige: „Polizeieinsatz“, das Ziel: die Hamburger Polizeireviere. 73 Personen, die sich zufällig auf dem Bahnhofsvorplatz befunden haben, werden dort bis zu sieben Stunden lang festgehalten. Selbst 15-Jährige sind darunter. „Sie waren in einer Gruppe, aus der Gewalttaten heraus verübt wurden“, teilt ein Beamter W. bei der Leibesvisitation mit. Zum Abschied bekommt auch er seinen „Kurzbericht Freiheitsentziehung“ in die Hand gedrückt. Das Feld „polizeilicher Anlass“ ist leer.

„Völlig absurd und unverhältnismäßig“ sei die Ingewahrsamnahme gewesen, urteilt ein Werder-Fan. „Das hat einen üblen Nachgeschmack“, sagt auch Dieter Zeiffer, Fanbeauftragter von Werder Bremen: „Womöglich hat der Einsatzleiter da falsch entschieden.“ Mehrere Betroffene wollen vor dem Verwaltungsgericht gegen die Freiheitsentziehung klagen.

Die Hamburger Polizei wollte sich gestern zu den Vorwürfen nicht äußern. Streit ist allerdings auch zwischen den Werder-Ultra-Fans von der „Eastside 97“, die einen kleinen Teil der Ingewahrsamgenommenen stellten, und Werder Bremen selbst entbrannt. Der Verein nämlich bließ Anfang der Woche öffentlich zum Gegenangriff und entzog den Eastsides einige Sonderberechtigungen. Sein restriktiveres Vorgehen begründete er unter anderem mit den Ingewahrsamnahmen am 9. April. Man habe „einfach die ganze Problematik“ mit den Fans auf der Internetseite zusammengestellt, sagt Zeiffer. Und: Für den Verein sei der Polizeibericht „maßgeblich“.