Visionen und Illusionen

Nach dem 0:2 im Pokal-Halbfinale gegen Bayern München, Bielefelds geschichtsträchtigstem Jahrhundertspiel aller Zeiten, sorgt sich die Arminia um den Verbleib des Trainers Uwe Rapolder

AUS BIELEFELD BERND MÜLLENDER

„Der historische Versuch, nach Berlin zu fahren“ (Stadionsprecher) war gescheitert, der „Eintrag in die Geschichtsbücher“ (Lokalzeitung) blieb ungeschrieben. Arminia Bielefeld hatte das Pokalhalbfinale 0:2 verloren, längst waren die siegreichen Bayern eilig in ihrem Bus entschwunden, da wurde Arminia-Manager Thomas von Heesen grundsätzlich. „Illusion im Fußball ist, wenn du glaubst, du könntest mit weitgehend den gleichen Leuten in drei Jahren kontinuierlich etwas aufbauen.“ Visionen dagegen seien etwas ganz anderes, und die habe er im heutigen Fußballzirkus auch noch nach zehn Jahren im Amt: „Visionen heißt, immer wieder mit wechselndem Personal den Status quo halten oder sogar ganz kleine Schritte nach vorn kommen.“

Der Manager sprach nicht nur über die vier Stammspieler, die den so erfolgreichen Aufsteiger verlassen werden: Lense (Nürnberg), Langkamp (Wolfsburg), Skela (Lautern) und vor allem der neue Klinsmann-Mann Patrick Owomoyela (Werder Bremen). Ob Toresammler Delron Buckley bleibt, ist zudem ungewiss. Bedeutsamer sind die möglichen Illusionen um den beliebten Trainer Uwe Rapolder. Der wird angeblich von diversen Clubs umworben und hatte neulich für Verwirrung gesorgt mit dem Vagabundensatz: „Ich war bisher nie zur richtigen Zeit am richtigen Ort.“

Und so musste sich Rapolder nach seiner feinsinnigen Matchanalyse („Bayern hat gut gekämpft, wir haben gut gespielt“) erklären und rechtfertigen. Die Debatte wurde zu einem albernen Stegreifgefecht um falsch autorisierte Nichtzitate von Dritten und spitzfindig sinnbeladene Gerüchte. Rapolder blieb auch auf vielfache Nachfrage freundlich lächelnd im Vagen: „1. Ich habe Vertrag bis 2007. 2. Es gibt Absprachen mit der Arminia-Führung.“ Daraus indes wollte er nicht den Schluss ziehen, dass er bleibt, und dementierte sogar seine kolportierte Absage, dass er definitiv nicht zum 1. FC Köln gehe: „Ich kann doch niemandem absagen, mit dem ich gar nicht gesprochen habe.“

Fußball ist ein kompliziertes Geflecht aus Eitelkeiten, Machtspielchen, Täuschungsmanövern und Geld. Kenner der Bielefelder Szene unken, Uwe Rapolder wolle mit seinen Zicken den derzeit finanziell gesunden Club (die Lizenz 2005/06 gibt es ohne Auflagen) nur zu stärkeren Investitionen in neue Füße drängen. Dazu passen zwei Sätze von Mittwochabend: „Ich will nicht nächstes Jahr zu dieser Zeit auf dem 17. Platz stehen, und alle sind enttäuscht.“ Und: „Erfolge werden während der Transferperiode gemacht.“

Bleibt Rapolder? Von Heesen zuckte die Schultern: „Bin ich Jesus?“ Und Rapolders Aussagen? „Einzelne Zitate sind nicht das Evangelium.“ Solch christliche Anleihen sind in einer derzeit entsäkularisierten Nation durch den Ratzinger-Rausch offenbar en vogue. Auch die Arminia-Fans brüllten nicht wie branchenüblich hinter einem Namen ihrer Lieblinge den Appendix „Fußballgott“, sondern gleich bei allen. Und die fußballernden Landsleute des neuen Pontifex hatten, wie man im Fußball sagt, in einigen Szenen durchaus den Papst auf der Latte sitzen gehabt. Aber das Wort „Bayern-Dusel“ wollen wir bis zur Eintragung in den Duden nicht mehr benutzen. Trainer Felix Magath gab immerhin ein Fehlbarkeitsbekenntnis, seine unterkühlte und ruppige Elf habe durchaus auch „Glück gehabt“.

Die Fahrstuhlmannschaft Arminia Bielefeld (deutscher Rekordaufsteiger und -absteiger) hätte es so gern Alemannia Aachen nachgemacht, die im Vorjahr sogar als Zweitligist trotz Final-Niederlage im Uefa-Cup für Furore und Finanzsicherheit sorgen konnte, weil Gegner Bremen für die Champions League qualifiziert war, so wie es jetzt wahrscheinlich Finalist Schalke sein wird. Nutznießer des Bayern-Sieges wird nun am Saisonende der Bundesliga-Sechste sein, der dann im Uefa-Cup spielt.

„Das größte Spiel aller Zeiten“ (Stadionheft) war schon nach 140 Sekunden vorentschieden gewesen, als Spielverderber Michael Ballack unbedrängt per Kopf eingewuchtet hatte. Roy Makaays Elfmetertor als letzte Aktion (93.) war nur noch für die Statistik und diente wütenden Bielefelder Empörungsreflexen, denn Weltschiedsrichter Markus Merk hatte nicht nur in dieser Szene glatt daneben gelegen, als leide er noch unter einem Knalltrauma von San Siro. Arminia war „weitgehend ebenbürtig gewesen“ (Magath), aber Oliver Kahn ein paar Mal weitgreifend sensationell geflogen. Bastian Schweinsteiger gab zu Protokoll: „Es zählt eben nur, wer die Tore macht.“

Und so wird es für Arminia keine Europapokal-Einnahmen geben, die Uwe Rapolders Pläne beeinflussen könnten. Als Trost für den verpassten Fahrstuhl in Europas Höhen bleibt, dass für ein neues „Jahrhundertspiel“ noch 95 Jahre Zeit bleiben.