piwik no script img

Wie Geld gemacht wird

VERMÖGEN Muscheln, Münzen oder Papier: Alles kann Geld sein. Wenn man es dazu macht. Aber wie funktioniert das? Zwei völlig konträre Ansichten

„Geld spiegelt unsere Erwartung an die Zukunft“

sonntaz: Herr Hickel, wie definieren Sie Geld?

Rudolf Hickel: Geld ist das, was Wenige zu viel haben und Viele zu wenig.

Sicher würden Ihnen die meisten Leser zustimmen. Aber die Frage haben Sie nicht beantwortet: Was ist Geld?

Da bin ich schon einmal ganz anderer Meinung als Joseph Huber. Er hat zwar recht, dass Geld aus Münzen, Banknoten, Giralgeld und den Bankreserven bei der Zentralbank besteht. Aber dabei werden nur Geldarten addiert. Geld kann man jedoch nur verstehen, wenn man seine Funktion in den Vordergrund stellt. Huber hebt ganz darauf ab, Geld als Zahlungsmittel zu sehen. Für mich ist Geld darüber hinaus vor allem ein Vermögenswert.

Geld ist also das Gleiche wie eine Immobilie oder Gold?

Genau. Der Unterschied zwischen einer Immobilie und dem Geld ist der Grad der Liquidität, also wie schnell man es „verflüssigen“ und in eine andere Vermögensklasse umtauschen kann. Bei Immobilien kann es mitunter Jahre dauern, bis man sie wieder loswird. Dagegen hat Geld die höchste Liquidität, ist sofort verfügbar. Dieser Nutzen bringt allerdings Kosten mit sich: Geld bringt keinen Ertrag. Auf Ihren 10-Euro-Schein bekommen Sie keine Zinsen. Gleiches gilt meist fürs Girokonto.

Was folgt daraus, dass Sie Geld als Vermögenswert sehen?

Auf den entscheidenden Punkt hat der britische Ökonom John Maynard Keynes als Erster hingewiesen: Geld ist nicht nur ein Zahlungsmittel. Deshalb ist die Geldnachfrage enorm instabil. Unser Umgang mit Geld spiegelt unsere Erwartungen an die Zukunft. Und die Zukunft ist unsicher, was uns mal mehr, mal weniger auffällt. Sobald aber Panik bei den Anlegern ausbricht, bleibt das Geld auf den Girokonten liegen. Die Geldmenge steigt rasant, während gleichzeitig die Sachinvestitionen unterbleiben. Die Wirtschaft schöpft ihre Produktionsmöglichkeiten nicht aus, ja sie droht zu schrumpfen.

Haben Sie dafür ein Beispiel?

Das passiert doch gerade! Momentan traut keine Bank einer anderen Bank. Also bunkern die Banken Geld. Sie legen ihre Liquidität bei der Zentralbank an, der sie als einziger noch vertrauen. Es ist also viel Geld da – aber vergleichsweise wenig Geld im Umlauf. Eine Kreditklemme droht. Diese paradoxe Situation kommt bei Huber gar nicht vor, weil er davon ausgeht, dass Geld nur als Zahlungsmittel funktioniert und die Geldnachfrage stabil ist.

Auch Huber sieht vor, dass die Geldmenge dem Wachstum angepasst wird. Das Vollgeld soll doch gerade dafür sorgen, dass die Zentralbank endlich die Geldmenge kontrollieren kann.

Trotzdem können Sie beim Vollgeld die Zentralbank eigentlich abschaffen – und einen Geldautomaten hinstellen, der die Banken mit zusätzlichem Geld versorgt, wenn die Wirtschaft wächst. Aber Geldpolitik im eigentlichen Sinne ist bei Huber nicht vorgesehen. Es gäbe keine Krisenintervention, wie sie jetzt die Europäische Zentralbank betreibt, die Banken mit Hunderten von Milliarden Euro flutet.

Hat Huber nicht recht, dass Krisen nur entstehen, weil die Banken derzeit unbegrenzt Kredite vergeben können?

Was stimmt: Die Finanzkrise ist durch ungehemmte Spekulation entstanden, die durch Bankkredite finanziert wurde. Aber das hatte nichts mit der Macht oder Ohnmacht der Zentralbanken bei der Geldschöpfung zu tun. Das Problem war die Deregulierung der Finanzmärkte.

Sie sagen also: Wir brauchen kein Vollgeld, sondern bessere Vorschriften für die Banken?

Richtig. Wenn man zum Beispiel das Eigenkapital heraufsetzt, das die Banken vorhalten müssen, dann wird automatisch die Kreditmenge begrenzt, die die Banken vergeben können. Man braucht kein Vollgeld, um Spekulationsblasen einzudämmen. Die Finanzkrise ist entstanden, weil die Regierungen an die „freien Märkte“ geglaubt haben.

Ist es nicht ungerecht, dass die Banken einen Extragewinn einfahren, weil sie das Geld schöpfen? An der Idee vom Vollgeld ist doch charmant, dass der Staat die Milliarden bekäme.

Die zentrale Frage ist doch: Wie kommt das Geld in die Wirtschaft, wenn dies nicht auch durch die Kreditvergabe der Banken geschieht? Huber hat die Idee, dass die Zentralbank das Geld über den Staat in die Wirtschaft schleust. Doch das ist hundsgefährlich. Der Staat könnte die Geldmenge manipulieren, um seinen Finanzbedarf zu decken. Ich bin daher für eine strikte Trennung zwischen Geld- und Finanzpolitik.

Aber die Zentralbank wäre doch unabhängig, genau wie heute.

Trotzdem bleibt die Frage: Wie wird die Geldmenge festgelegt? Diese Entscheidung kann politisiert werden. Vor allem weil das Vollgeld-Konzept keinen Mechanismus vorsieht, um auf Krisen zu reagieren. Bei der ersten Krise würde die Diskussion losbrechen, wie viel Geld die Zentralbank zur Verfügung stellen soll.

Ganz konkret: Was würde passieren, wenn ein Vollgeld-System eingeführt würde?

Es wäre mit zwei Fehlentwicklungen zu rechnen. Erstens: In der Realwirtschaft gibt es immer wieder zyklische Krisen. Doch bei einem Abschwung könnte die Geldpolitik nicht mehr eingesetzt werden, um zusätzliche Liquidität bereitzustellen. Zweitens: Das Vollgeld-Konzept beruht darauf, dass die Spareinlagen bei den Banken in Kredite für die Firmen umgewandelt werden. Doch dieser Mechanismus stockt bei einem Abschwung.

Die Folge?

Vor allem kleinere und mittlere Firmen würden leiden. Großunternehmen wären weniger betroffen, weil sie gar nicht auf Banken angewiesen sind, sondern selbst Anleihen auf den Finanzmärkten platzieren können. Huber hat einfach den falschen Begriff von Geld. Für ihn beeinflusst die Geldmenge nur die Inflation und die Preise von Vermögen. Er sieht nicht, dass Geld in Form von Kredit auch ein Produktionsfaktor ist. Das ist wirklich gefährlich.

INTERVIEWS ULRIKE HERRMANN GRAFIK ULRIKE DORES

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen