Visa-TV? Volmer-TV!

Der viel geschmähte Ludger Volmer verteidigt entschlossen die liberale Visa-Politik von Rot-Grün – und sich selbst

AUS BERLIN CHRISTIAN FÜLLER
UND LUKAS WALLRAFF

Vor ihm waren nur Beamte da. Ludger Volmer ist der erste Politiker, der im Visa-Untersuchungsausschuss als Zeuge auftritt. Und zum ersten Mal sind Fernsehkameras dabei. Damit das geneigte Publikum keine Würstchen mampfenden Politiker zu sehen bekommt, ist Essen im Saal heute verboten. Der Abgeordnete Reinhard Grindel von der CDU war schnell noch beim Frisör.

Dann kommt Volmer. Der frühere grüne Staatsminister im Auswärtigen Amt, nach dem jener Visa-Erlass benannt wurde, der die ganze Visa-Affäre erst ins Rollen brachte. Er hat viel zu erklären. Sehr viel. Volmer nutzt sein Recht zu einem Eingangsstatement für ein, zwei Stunden langes Grundsatzreferat. Alle sollen erfahren, worum es hier aus Volmers Sicht im Wesentlichen geht: um den Versuch der Opposition, ihn zu diffamieren.

Nach zwei Minuten ist klar: Volmer sieht sich als zu Unrecht Angeklagter. Die Vertreter der Union sind für ihn Feinde. Der Ausschussvorsitzende Hans-Peter Uhl (CSU) sei in den letzten Monaten „eindeutig der schärfste Ankläger“ gewesen, sagt Volmer und stellt das gesamte Ausschussverfahren in Frage. Er finde es „befremdlich“, dass nun ausgerechnet Uhl „so eine Art Vorsitzender Richter sein kann“. Volmer zählt Beleidigungen auf, mit denen Uhl ihn einst traktiert hat. Volmer sei ein „einwanderungspolitischer Triebtäter“, der bei Gerichtsprozessen gegen Schleuser und Menschenhändler als „Mittäter“ auf die Anklagebank gehöre, hat Uhl im Bundestag gesagt. Jetzt sitzt er Volmer gegenüber und blättert ungerührt in Akten. Dass er das alles so gesagt hat, kann er nicht bestreiten. Aber er weiß: Nur die Mitleidstour wird Volmer hier nicht reichen. Das ist auch dem Grünen klar, also beginnt er, „zur Sache“ Angaben zu machen. Jetzt wird es kompliziert.

Der viel zitierte „Volmer-Erlass“, sagt Volmer, dürfte eigentlich gar nicht so heißen. Er habe ihn weder geschrieben noch zu verantworten. Weisungsbefugt war nur Außenminister Joschka Fischer. Aber mitgewirkt an diesem Erlass, ja, das habe er schon.

Er habe in den Jahren 1998 und 1999 viele Beschwerden bekommen, sagt Volmer – auch von Unionspolitikern, die Schikanen bei der Visavergabe beklagten. Also habe er sich für Änderungen eingesetzt. Mit dem Ergebnis, dass im März 2000 der Erlass zustande kam, in dem es unter anderem heißt, bei der Visavergabe sei „im Zweifel für die Reisefreiheit“ zu entscheiden.

Diesen Erlass hat Volmer, so viel wird klar, angeregt und in seiner Endfassung „gebilligt“. Die umstrittene Formel „in dubio pro libertate“ aber, die von der Union als Wurzel allen Übels angesehen wird, sei keineswegs seine Idee gewesen. Im Gegenteil: Er habe sie sogar „als Einziger“ kritisch hinterfragt. Erst nachdem ihn Mitarbeiter überzeugen konnten, dass rechtlich nichts dagegen einzuwenden sei, habe er auch diese Formulierung schließlich „gebilligt“. Wer die Formel erfunden hat, bleibt ein Rätsel. Auch die Ministeriumsbeamten, die bisher vor dem Ausschuss ausgesagt haben, konnten sich nicht erinnern, wer sie geschrieben hat. Vielleicht sind ja nachts Heinzelmännchen ins Auswärtige Amt gekommen und haben sie heimlich eingefügt.

Selbst wenn Volmers Ausführungen korrekt sind: Sie stehen in deutlichem Kontrast zu seinem Auftreten im Jahr 2000. Damals war er nämlich ausgesprochen stolz auf den Erlass. Er gab extra eine Pressekonferenz, um ihn zu präsentieren. Mehr Reisefreiheit ermöglicht zu haben war für ihn ein persönlicher Triumph – als Vertreter des linken Grünen-Flügels im Auswärtigen Amt. Mit den Fehlern, die später zu massenhaftem Missbrauch führten, will er heute nichts zu tun haben. Die Klagen aus den Botschaften seien zu ihm nicht vorgedrungen. Und mit zwei anderen Erlassen, die Fischer bereits als Fehler bezeichnet hat, sei er nicht befasst gewesen.

Immer deutlicher schält sich als Problem der Visa-Affäre heraus: Woher kommen eigentlich die beiden Visa-Erlasse aus dem Jahr 1999, die inzwischen bei allen Beteiligten als jene gelten, welche den massenhaften Missbrauch von Visa ermöglichten? „Die müssen von da oben kommen“, sagt der FDP-Abgeordnete Helmut Königshaus genervt und schaut gen Himmel.

Mit dem Erlass vom 15. Oktober 1999 wurde den Visabeamten im Ausland empfohlen, bestimmte Überprüfungen „in der Regel“ nicht mehr vorzunehmen. Bei Vorlage von Reiseschutzversicherungen sollte darauf verzichtet werden, von den Antragstellern weitere Dokumente für Reisezweck und Rückkehrbereitschaft zu verlangen. Das sind, wie auch Volmer gestern immer wieder zugestand, jene Mechanismen, die zum Visamissbrauch führten. Aber wer ist dafür verantwortlich? Am Tag vor Volmers Aussage hatten sich bereits die beiden zuständigen hohen Beamten an die Erlasse nicht erinnern können. „Ich weiß bis heute nicht, ob diese Erlasse die politische Leitung des Auswärtigen Amtes jemals erreicht haben“, sagt Volmer. „Oder ob die ausschließlich auf Beamtenebene abgewickelt wurden.“

Für Ludger Volmer mag dies gut sein. Aber der ehemalige Staatsminister schiebt damit den Fehler seinem Minister Joschka Fischer zu. Denn wenn im AA anonyme Erlasse produziert werden, die eine politische Krise hervorrufen, dann gibt es am Schluss nur einen Verantwortlichen: den Minister. Der kommt am Montag.