Happyend auf der Alm

FERNE INSELN, NAHE BERGE Sechs Künstler aus Südostasien und Australien denken übers Paradies nach, finden aber meistens nur Entzauberung: zur Gruppenausstellung „Das Paradies ist anderswo“ in der ifa-Galerie

Für Inder auf Hochzeitsreise sind die Schweizer Alpen paradiesisch

VON JULIA GWENDOLYN SCHNEIDER

Einem bunten Zuckerparadies, das zwischen kindlicher Märchenwelt und psychedelischem Gebilde schwankt, gleicht Nicole Andrijevic’ Bodeninstallationen in der ifa-Galerie. In mühevoller Feinarbeit wurde die kitschige Miniaturlandschaft aus gefärbtem Sand, Zucker und Plastikedelsteinen in Form von Kreisen aufgestreut in einer Technik, in der auch buddhistische Mandalas entstehen. Ihr Werk scheint die Künstlerin in absoluter Konzentration und in einem nahezu paradiesischen Zustand meditativer Losgelöstheit vollbracht zu haben. Zugleich entlarvt die verlockende Inselwelt, die sich „Imaginary Lands and Far Away Cultures“ nennt, wie vergänglich und anmaßend der Traum von einem paradiesischen Anderswo wohl ist. Nach Ausstellungsschluss wird die verlockende Exotik einfach weggefegt werden.

Interessant ist der Perspektivenwechsel der Schau „Das Paradies ist anderswo“ in der Galerie des Instituts für Auslandsbeziehungen: Nicht europäische Sehnsüchte stehen im Mittelpunkt, sondern künstlerische Positionen aus der Region Asien-Pazifik. Während Europas überlieferte Paradiesvorstellungen in der Südsee und in Südostasien angesiedelt sind, vermittelt die Ausstellung eher eine Entzauberung als exotisches Flair und Ursprünglichkeit. Suggeriert Andrijevic noch ein persönlich erfahrbares paradiesisches Moment, desillusionieren die anderen Arbeiten der Gruppenschau „Das Paradies ist anderswo“.

Leung Chi Wo bat Freunde, ihm Assoziationen für eine Wunschliste zu schicken, die Hongkong als „Asia’s World City“ vermarkten sollte. Für eine kurze Zeit, bis die Behörden diesen Ruf nach einer besseren Welt schnell wieder beseitigt hatten, stellte der Künstler die Wünsche und Defizite in Plakatform öffentlich zur Diskussion. Das Beklagen von zu wenig Stadtgrün erscheint allgemein gültig, „billigere Litschi-Martinis“ verdeutlichen hingegen die feinen Unterschiede auf der Liste der idealen Lebensumstände.

Wie ein Aufschrei, der um ein verlorenes Paradies klagt, wirkt der dreiteilige Fotozyklus der Künstlerin Yee I-Lann. Ihr geht es um eine Landschaft im Norden Borneos, wo sie geboren wurde, und die heute großen kulturellen Überformungen unterworfen ist. Vor einem weiten Horizont weht einer Frau das schwarze Haar wie ein langer Schleier um den Kopf, dessen Enden gewaltige Reisrispen im Schlepptau haben. In einem Setting aus nebelverhangenen Bergen, Palmen und einem abgeernteten Feld schreitet sie, sich den schwangeren Bauch liebevoll haltend, mit geschlossenen Augen majestätisch auf uns zu. Die dunklen Farben erinnern an romantische Landschaftsmalerei. Der Titel „Huminodun“ bezieht sich auf die mythologische Frauenfigur, die der Schöpfungsgeschichte der Kadazandusuns – der multieethnischen Bevölkerung Sabhas – zufolge Erde und Reis schuf und so ihr Volk „kultivierte“.

Auf einem anderen Bild steht mitten auf dem Asphaltboden ein deplatziert dreinschauendes Rind. Übersät mit Zeichen zunehmender Übergriffe auf das Leben der Bewohner des heutigen Sabhas werfen Yees Landschaftsbilder einen kritischen Blick auf das „Homogenisierungsprogramm“ der Regierung und wünschen eine Stärkung der kulturellen Tradition Malaysias.

Etwas platt wirkt dagegen die Arbeit von Hye Rim Lee. Fetischistisch aufgeladene „paradiesische“ Frauenkörper in Einzelteile zerlegt und auf Parfümflacons verteilt sind in einer Videoinstallation in Szene gesetzt. „Bunnyhäschen Toki“ ist angetreten, das Schönheitsideal der asiatischen Frau, geprägt von Mangas, Computerspielen und Cyberkultur, zu parodieren. Das Bild wirkt aber abgedroschen und dem Klischee verhaftet, sodass die Wirkung fragwürdig erscheint.

Wenn ich die vielschichtigen Welten einer Yee I-Lann oder auch der Arbeit „So Close the Desert Isle“ von Jason Wee vorziehe, sagt das vermutlich viel darüber aus, wie kulturell geprägt und persönlich motiviert Paradiesvorstellungen sind. Jason Wees Installation greift das Paradiesmotiv schlechthin auf – die Südseeinsel, die in diesem Falle jedoch zum politisch-strategischen Streitobjekt zwischen Singapur und dem Nachbarland Malaysia wurde – und somit wiederum zu einem verlorenen Paradies.

In diesem Sinn liegt der beste Schachzug der Ausstellung darin, sich am Rande selbst zu kommentieren. Mit ihrem kurzen Dokumentarfilm „Happyend in Switzerland“ begleitete Dorothee Wenner indische Touristen in die Schweizer Alpen. Da die Schweiz immer öfter als Traumkulisse in Bollywoodfilme dient, sind Kühe, Alphorn und Bergseen für das indische Filmpublikum zum Inbegriff romantischer Flitterwochen geworden. Das Paradies liegt aus Sicht der indischen Massenkultur vor unserer Haustüre, doch nehmen wir es vielleicht gar nicht als solches war.

■ „Das Paradies ist anderswo“, ifa-Galerie Berlin, Linienstraße 139/140, Di. bis So. 14–20 Uhr, Sa. 12–20 Uhr, bis 27. September