Schätze im gedeihenden Garten

REVOLUTIONSBOTANIK Mitten im Krieg stürzte sich Rosa Luxemburg im Gefängnis ins Gärtnern. Das Museum Lichtenberg zeigt dazu in der Ausstellung „Rosas Herbarium“ Arbeiten der Künstlerin Barbara Willems

Es ist einer von vielen langen Gefängnistagen und doch ein besonderer. Am 19. Mai 1917 schreibt Rosa Luxemburg begeistert in einem Brief an Sophie Liebknecht: „Ich traue kaum meinen Augen, denn ich habe heute zum ersten Mal im Leben gepflanzt und alles ist gleich so gelungen!“ Rosa Luxemburg, die Botanikerin, ein Attribut, mit dem sie wohl selten versehen wird – mit dieser Seite der vor 93 Jahren getöteten Revolutionärin hat sich die Künstlerin Barbara Willems beschäftigt.

Willems Zeichnungen, die nun im Museum Lichtenberg zu sehen sind, stützen sich auf das lange verschollen geglaubte Herbarium, das Luxemburg seit 1913 anfertigte. Dieses besteht aus 17 Heften, die vor drei Jahren wiederaufgetaucht sind und in einem staatlichen Archiv in Warschau liegen. Willems davon inspirierte Kohlezeichnungen zeigen mal filigrane Äderchen eines Blattes, mal abstrakte, dynamische Kompositionen. So wirken einige von ihnen wie flüchtige Eindrücke eines im Garten verbrachten Tages, die abends vor dem geistigen Auge aufflackern, andere zeugen von einer liebevollen, detailreichen Beschäftigung mit einer bestimmten Pflanze aus dem Herbarium.

Ein Kontrast zur Politikerin

In ihrer verwischten Unschärfe lassen die Zeichnungen Raum, und es ist ebendieser Raum dahinter, der den Arbeiten eine Besonderheit verleiht, die sie nicht durch sich selbst gewinnen. Denn dahinter lässt sich erahnen, wie dankbar Rosa Luxemburg jede kleine Veränderung der Natur, jede Knospe, jedes neu entdeckte Pflänzchen in ihrem Gefängnisgarten in der ewigen Monotonie der Tage empfunden haben muss.

Dadurch wird ein sinnlicher, menschlicher und sicher etwas sentimentaler Zugang zur Person Rosa Luxemburg geschaffen, den man aber gern annimmt. Er ist nämlich gleichsam Kontrast und Ergänzung zum Bild der starken, lauten Politikerin, das sich einem etwa durch die Zitate auf „ihrem“ Berliner Platz vermittelt. Zu diesem gefühligeren Bild von Rosa Luxemburg tragen auch Auszüge aus ihren Gefängnisbriefen bei, die an der Wand neben den Zeichnungen hängen. „Ich suche die Winkel meines Gärtleins ab und finde allerlei Schätze“, steht dort zu lesen.

Fast dreieinhalb Jahre verbringt Rosa Luxemburg während des Ersten Weltkrieges in verschiedenen Gefängnissen. Am längsten ist sie in Wronke, im heutigen Polen, eingesperrt. In der Welt draußen vor der Gefängnismauer tobt ein Krieg, in dem tausende Menschen sterben, die zunächst begeistert auf die Schlachtfelder gezogen waren. Luxemburg sind im Gefängnis die Hände gebunden, bis zuletzt hatte sie immer wieder versucht, durch Aufrufe zum Generalstreik den Frieden zu erzwingen.

Im Gefängnisgarten sucht sie nun Gleichgewicht und inneren Frieden. Sie stürzt sich regelrecht ins Gärtnern, „wie in alles, gleich mit meiner ganzen Glut“, so schreibt sie in einem Brief. Und tatsächlich gelingt es ihr, bei Weitem nicht immer, aber doch an manchen Tagen nicht Revolutionärin, nicht politische Gefangene, sondern ganz Botanikerin und Beobachterin der Vorgänge in ihrem „Gärtlein“ zu sein. Auf diese Leistung, diesen immensen positiven Kraftakt, macht „Rosas Herbarium“ aufmerksam. CARLA BAUM

■ „Rosas Herbarium“, bis 27. April, Museum Lichtenberg, Di.–Fr., So. 11–18 Uhr www.museum-lichtenberg.de