Kindergesundheit
: Verschobene Prioritäten

Die erschreckenden Ergebnisse der Essener Einschulungsuntersuchung – auf die inzwischen viele deutsche Großstädte zusteuern – sind Ergebnis einer langjährigen politischen Wahrnehmungsverzerrung: Diese von Fettsucht geplagten sprachentwicklungsverzögerten I-Dötzchen sind die Zukunft der Region. Sie haben die Aufgabe für die überalterte Mehrheitsgesellschaft aufzukommen, sie sollen die deutsche Wirtschaft wettbewerbsfähig machen. Obwohl der Verweis auf den demographischen Wandel zum Standardrepertoire deutscher PolitikerInnen gehört, fehlt für konkrete Maßnahmen vor Ort grundsätzlich das Geld.

KOMMENTAR VONMIRIAM BUNJES

Das Land NRW hat die Zuschüsse für die Jugendhilfe eingestampft. Auf dem Papier wird das Thema „Frühförderung“ jedoch groß geschrieben, den Kommunen dringend empfohlen, Frühförderstellen einzurichten und natürlich aus dem kommunalen Haushalt zu bezahlen. Dass die Stadt Essen trotz ruhrgebietstypischer desolater Haushaltslage eine solche Frühförderstelle schafft und sie mitten in ihre Armutsstadtteile platziert, hilft auf jeden Fall, die Symptome der wachsenden Kinderarmut aufzufangen oder zumindest abzumildern. Dass es in Essens Grundschulen nur gesundes Essen geben kann, wenn sich Sponsoren und Ehrenamtliche finden, zeigt, dass der überfällige Perspektivwechsel noch lange nicht stattgefunden hat. Unsere FamilienpolitkerInnen erschreckt zur Zeit viel mehr, dass deutsche Akademiker fast gar keine Kinder mehr in die Welt setzen. Für diese Kinder bräuchte es vermutlich weniger Frühförderstellen, weil ihre gut verdienenden Eltern Förderung aus eigener Tasche zahlen oder selbst erledigen. Die Sozialstruktur im Ruhrgebiet sieht bekanntermaßen anders aus: Die armen, schlecht Ausgebildeten bekommen die Kinder. Seit Jahren. Diesen Kindern eine gute Zukunft zu ermöglichen, ist kein Luxus für Gutmenschen, sondern eine Investition in die Zukunft einer ganzen Region.