kleine schillerkunde (7)
: „Die Bürgschaft“, als Actionfilm nacherzählt

Die Dramaturgie einer Heimkehr mit Hindernissen: Der Held muss überleben, damit er wie verabredet sterben kann

Zu Beginn geht es schnell. Kurze Szenen, jeweils einen Vers lang, harte Schnitte. Erst establishing shots auf den Tyrannen und den Attentäter, dann Verhaftung, Verhör und Todesurteil – eine Dramaturgie, die von Anfang an packen will.

Danach aber wird der Erzählfluss ruhiger – der besondere Kniff der Geschichte wird etabliert. Jetzt registriert die Sprache auch Einzelheiten (der Tyrann lächelt arglistig) wie eine Kamera, die näher herangefahren ist. Tyrann und Attentäter schließen also den Deal mit dem Aufschub des Todesurteils für drei Tage. Schiller lässt sich dafür viel Zeit, eine Exposition in Großaufnahme. Sorgfältig wird der Ausgangspunkt der Handlung – ein Freund soll als Bürge sterben, wenn der Attentäter nicht rechtzeitig zur eigenen Exekution zurückkommt – gleich zweimal erzählt; alles Weitere hängt schließlich davon ab. Folgt ganz kurz der Anlass des Aufschubs, die Verheiratung der Schwester im Heimatdorf des Attentäters. In einem Film könnte man hier idyllische Genreszenen zeigen, darüber gelegt den Vorspann.

Dann aber beginnt mit aller Macht die Haupthandlung. Sie folgt der Dramaturgie einer Heimkehr mit Hindernissen: Der Held „eilt heim mit sorgender Seele, / Damit er die Frist nicht verfehle“. Aber es kommt natürlich dicke: Abenteuer, Prüfungen, Action. Alles, wirklich alles hat sich gegen den Helden verschworen. Erst tritt ein Fluss über die Ufer und reißt die Brücke mit; zunächst hofft der Held noch auf Hilfe durch einen Fährmann, aber bald muss er erkennen, dass er die Prüfung allein zu bestehen hat. Also wirft er sich in den tobenden Fluss (in der Ballade hört man die gleichsam unterlegte dramatische Musik sofort mit) und gegen alle Wahrscheinlichkeit erreicht er glücklich das andere Ufer.

Aber ausruhen kann sich unser Held nicht, gnadenlos ist das Script. Sofort betritt nämlich eine Räuberhorde die Szene. Kurzes Wortgeplänkel, das umstandslos in einen Kampf auf Leben und Tod übergeht. Die Ursituation des Actionkinos: ein Held allein gegen eine Übermacht. Und siehe, der Held besteht auch diese Prüfung: „Und drei, mit gewaltigen Streichen, / Erlegt er, die andern entweichen.“ Seine Wille ist härter als noch so viele Waffen, die sich ihn richten.

Die folgende dritte Prüfung fordert den Willen anders heraus: Der Held erschöpft, ist nahe dem Verdursten: „Und die Sonne versendet glühenden Brand“. In vielen Italowestern gibt es diese Szene. Der Held verzweifelt, findet im letzten Moment aber eine Quelle und schafft es gerade noch zu überleben – wohlgemerkt: Nur, damit er wie verabredet durch die Hand des Henkers sterben kann.

Aber eine letzte Prüfung steht noch bevor. Sie ist die Prüfung aller Prüfungen, weil sich erst in ihr wirklich die Charakterstärke beweist. Schiller malt sie breit aus: Unser Held, inzwischen verspätet, muss annehmen, dass sein Freund bereits tot ist und damit sein Opfer vergebens. Ein Bekannter tritt auf und will den Helden zur Umkehr bewegen: „Zurück! du rettest den Freund nicht mehr, / So rette das eigene Leben!“ Doch unser Held lässt sich nicht beirren, geht weiter, wie es verabredet ist, nicht ohne einen Sinnspruch für den Tyrannen auf den Lippen: „Er schlachte der Opfer zweie / Und glaube an Liebe und Treue.“ Nun, da hätte man heute vielleicht eher einen ironischen Oneliner draus gemacht.

Am Schluss, zum großen Finale geht es wieder ganz schnell. Unser Held kommt im allerletzten Augenblick an, rettet damit seinen Freund, rührt vor allem aber mit seiner Treue die Bevölkerung und sogar auch den Tyrannen, der den Helden begnadigt. Happy End also. Jubel.

So ist sie, Schillers Ballade „Die Bürgschaft“: großes Old-school-Actionkino! DIRK KNIPPHALS