Der Herrscher über die Tarifgespräche

Kein Gewerkschaftsboss war so mächtig wie ÖTV-Chef Heinz Kluncker. Jetzt ist er im Alter von 80 Jahren gestorben

Es kommt nicht oft vor, dass der Name eines seit mehr als 20 Jahren pensionierten Gewerkschaftsbosses noch immer in aller Munde ist. Bei Heinz Kluncker war es so. „Ich bin nicht der Kluncker des 21. Jahrhunderts“, betonte der Wirtschaftsweise Peter Bofinger jüngst in einem Interview. Ein Satz, den heute vermutlich auch jeder Gewerkschaftsführer unterschreiben könnte – auch wenn er die vergangenen Zeiten insgeheim zurücksehnen mag. Denn Heinz Kluncker war wohl der mächtigste Gewerkschaftsfunktionär, den es in Deutschland jemals gegeben hat. Von 1964 bis 1982 führte er die Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (ÖTV).

Schon die Rituale der Tarifgespräche machten deutlich, wie vor allem in den frühen Siebzigerjahren die Gewichte verteilt waren. Weil die ÖTV-Zentrale damals in der baden-württembergischen Landeshauptstadt angesiedelt war, mussten sich die Verhandlungsführer von Bund, Länder und Gemeinden eigens ins Freizeitheim der Technischen Werke Stuttgart bequemen. Bis tief in die Nacht tagten dort die Delegationen im dichten Qualm der Zigaretten und Zigarren, der schwäbische Trollinger floss reichlich. Kluncker, der es am Ende seiner Amtszeit auf nicht weniger als 270 Pfund Körpergewicht brachte, behielt dabei stets den Durchblick – im Gegensatz zu den vergleichsweise schmächtigen Innenministern, die im Anschluss gleich die nächste Demütigung erwartete: Stundenlang mussten sie vor verschlossenen Türen bangen, ob die Große Tarifkommission der ÖTV mit dem erzielten Abschluss auch zufrieden war.

Den spektakulärsten Triumph feierte Kluncker 1974. Er rang dem damaligen Bundeskanzler Willy Brandt einen 11-prozentigen Aufschlag auf die Löhne und Gehälter ab, obwohl sich Brandt vorher auf einen einstelligen Abschluss festgelegt hatte. Die Niederlage schwächte das Ansehen des ersten SPD-Bundeskanzlers empfindlich und trug neben der Affäre um den Kanzleramtsspion Günter Guillaume entscheidend dazu bei, dass er noch im selben Jahr zurücktreten musste.

Im Nachhinein erscheint die Tarifrunde von 1974 freilich als einer jener Siege, die den Keim späterer Niederlagen schon in sich bergen. Kluncker hatte noch einmal aus dem Vollen geschöpft, als die Ölkrise schon das Ende des ewigen Wachstums ankündigte. Sein Sieg, auch mit einer Blockade von Müllabfuhr und Stromversorgung erkämpft, förderte einen zunehmend kritischen Blick auf die Versorgungsmentalität im öffentlichen Dienst. Seit den Achtzigerjahren begegneten die Vertreter der öffentlichen Hand mit einer abgestimmten Verhandlungsstrategie den Forderungen der Arbeitnehmer, und statt in Stuttgart Hof zu halten, sind die Gewerkschafter inzwischen selbst in die Bundeshauptstadt umgezogen.

Kluncker selbst musste den Machtverlust nicht mehr erleben, er trat 1982 aus gesundheitlichen Gründen zurück. Wie gestern bekannt wurde, ist er am Donnerstag in Stuttgart gestorben. RALPH BOLLMANN