„Ursprünglich endete Schneewittchen viel dunkler“

Der Kultursoziologe Emmanuel Ethis erklärt, wie Hollywood ein Lebensmodell mit moralischen Werten propagiert

Monsieur Ethis, wie könnte man ein Happy End definieren?

Emmanuel Ethis: Happy End ist ein glücklicher Schluss, der von Hollywood eingesetzt wird, um eine Geschichte nach dem traditionellen Schema zu benden: „Alles ist gut, ein Element zerstört den Frieden und dank des Helden wird alles wieder gut und sogar durch eine moralische Erfahrung bereichert“.

Was macht für Sie ein gutes Happy End aus?

Das Happy End muss ein Augenblick sein, in dem alle Protagonisten einer Geschichte von ihren Prüfungen profitieren und sie am Ende reifer und versöhnt sind. Der Tod eines Bösen ist nie ein gutes Happy End, es ist das Geständnis des Misserfolgs von Dialog. Ein bisschen wie im wahren Leben.

Könnten Sie uns die Geschichte vom Happy End im Kino erzählen?

Seitdem das Kino das Kunsttheater adaptierte und es später „sprechend“ geworden ist, hat sich das Happy End als Massenphänomen in Hollywood durchgesetzt. Die sogenannte Traumfabrik musste erbauend sein. Das bedeutet, wir sollen aus den Prüfungen, die uns begegnen, reifer und besser hervorgehen. Deshalb das Happy End. Hollywood hat diese narrative Methode gewählt, die eine optimistische Version des Lebens ist, und drängt sein Modell jedem Publikum auf. „Schneewittchen und die sieben Zwerge“ von Disney aus dem Jahr 1937 ist eine Adaptation der Gebrüder Grimm. Die ursprüngliche Geschichte war viel schwärzer und dunkler. Daraus wurde ein Märchen, das mit einer Liebesgeschichte mit einem Prinzen endet. Wir können hier von einer echten Hollywood`schen Neuerfindung sprechen für einen der bemerkenswertesten Animationsfilme.

Gibt es Besonderheiten beim filmischen Happy End im Unterschied zur Literatur?

Nein, es gibt keinen richtigen Unterschied zwischen all diesen Happy Ends, nur, dass in der Literatur die moralische Frage deutlicher ausgeschöpft wird. Das Happy End ist im Wesentlichen eine moralische Frage. Es ist eine ethische Ansicht, die wir mit dem Zuschauer zu teilen versuchen. Mit Hilfe von gemeinsamen Werten oder dem, was wir für unsere gemeinsamen Werte halten. Um alle Konsequenzen eines Abenteuers zu zeigen, verwendet der Film auch literarische Mittel. Zum Beispiel erzählt er am Schluss, was aus den Protagonisten einer Geschichte nach dem eigentlichen Ende des Films in ein paar Jahren geworden ist.

Ist das Happy End noch in Mode, zu einer Zeit, in der wir an allem zweifeln?

Ja, der Beweis ist „Ziemlich beste Freunde“. Es gibt ein doppeltes Happy End durch das Glück der Filmprotagonisten und das anhaltende Glück der echten Charaktere, auf deren Geschichte der Film basiert. Das Happy End möchte Hoffnung geben und unsere Werte verstärken. Das Hollywood-Kino als Lebens- und Verhaltensunterricht lehrt immer noch, dass wir mehr Chancen haben, unser Leben glücklich zu beenden, wenn wir unsere Werte pflegen. Das ist auch eine Art, nicht über unseren Tod nachzudenken, der am Ende von allem steht und der kein Happy End ist.

Könnten Sie uns bitte einige Beispiele von Filmen mit Happy End geben, die für Sie besonders interessant sind?

Natürlich, „E.T. – Der Außerirdische“ und „Unheimliche Begegnung der dritten Art“ von Spielberg, „American Graffiti“ von Lucas, „Dreams“ von Kurosawa, „Vom Winde verweht“ von Fleming, „Love actually“ von Curtis, „Super 8“ von J.J. Abrams, „Drei Bruchpiloten in Paris“ von Oury, die meisten Filme von Billy Wilder.INTERVIEW: NATHALIE FRANK

Emmanuel Ethis, 44, ist Kultursoziologe und Präsident der Universität von Avignon, Frankreich. Er empfiehlt zur weiteren Lektüre „Hat es Spaß gemacht, Mr. Wilder?“ von Cameron Crowe.