Mit harten Bandagen

Gegen eine Männerriege muss eine erfolgreiche Hamburger Boxerin kämpfen: Der Deutsche Boxverband lässt sie nicht zur EM. Die Begründung: „Fräulein Dürr“ sei sportlich nicht reif genug

von Ronny Galczynski

Erst viermal in 29 Kämpfen musste Hamburgs erfolgreichste Amateurboxerin den Ring geschlagen verlassen. Doch jetzt hat es Sonja Dürr mit einem Gegner zu tun, der übermächtig scheint: ihren eigenen Boxverband, der die amtierende Deutsche Meisterin im Leichtgewicht (bis 57 kg) am grünen Tisch in die Knie zwingen will.

Mit einer Mischung aus Borniertheit, Verbandsregularien, Gleichmut und Respektlosigkeit verbaut eine sture Männerriege einer ehrgeizigen Amateursportlerin den Abschluss einer internationalen Boxkarriere. Eigentlich nämlich wollte die Faustkämpferin des BC Hanseat Anfang Mai im norwegischen Tonnsberg bei der vierten Fraueneuropameisterschaft erneut den Griff zur Krone wagen: „Ich bin zwar kein Typ, der vorher sagt, dass schaffe ich sowieso, aber einmal Europameisterin zu werden, wäre schon toll“, sagt die Elektroinstallateurin mit Abitur. Es wäre Dürrs dritte EM-Teilnahme. 2003 in Ungarn boxte sie sich zur Vize-Europameisterin durch. Im letzten Jahr in Italien wurde sie nach einer Niederlage gegen die spätere Europameisterin immerhin noch Fünfte.

Die Hamburgerin begann erst spät mit dem Boxsport – dabei war sie fast schon Sportinvalidin. Nachdem sie sich 1997 beim Kicken für das Frauenteam des FC St. Pauli das Kreuzband ruinierte, prophezeiten die Ärzte ihr das sportliche Aus. Das wollte die 33-Jährige jedoch nicht wahr haben und begann ein halbes Jahr später mit dem Boxen. Bereits am Vatertag 1998 bestritt sie ihren ersten Kampf. „Das war in einem Bierzelt in Niendorf“, erinnert sie sich. Kurz darauf ein mehrwöchiger Kuba-Urlaub, der den endgültigen Kick brachte: „Ich kam zufällig an einer Boxschule vorbei und mit dem Trainer ins Gespräch.“ Der ließ sie vorboxen und bot ihr Trainingseinheiten an. „Ich bin dann fast jeden Tag für zwei Stunden da zum Training hin, und hinterher hatte ich ganz andere Bewegungsabläufe“, schwärmt Dürr. Es folgten der Gewinn der Hamburger Meisterschaft 2002, der Vize-EM-Titel, der Sieg bei der ersten Deutschen Meisterschaft in Meppen, die Titelverteidigung im September letzten Jahres im bayerischen Maisach und zuletzt der Achtungserfolg in Italien.

Doch das alles scheint die Funktionärsriege des Deutschen Boxsport Verbandes (DBV) zu ignorieren. Die hielt es nicht für nötig, auch nur eine einzige Boxerin für den anstehenden Wettkampf in Norwegen zu melden. Begründung: Es hätte gar keine Qualifikation für diese EM gegeben, außerdem seien die deutschen Frauen international nicht konkurrenzfähig und Sonja Dürr schon zu alt, um noch gefördert zu werden. „Die sollen mich gar nicht fördern, das hätten sie in den letzten Jahren tun können. Jetzt will ich einfach nur bei der EM dabei sein“, empört sich die Betroffene.

DBV-Pressewart und -Vizepräsident Alexander Mazur schießt noch deutlicher gegen die Boxerinnen: „Zuletzt haben die Frauen auf internationaler Ebene total versagt. Und auch Fräulein Dürr spreche ich die sportliche Reife für internationale Kämpfe ab.“ Herbert Offermanns, Pressewart des Hamburger Amateur-Box-Verbandes, hält dagegen: „Die Entscheidung ist kurzsichtig und in der Begründung absolut nicht haltbar. Sonja ist im besten Boxalter. Mit dieser Entscheidung fällt das deutsche Frauenboxen um Jahre zurück.“

Doch ihre vielleicht bitterste Niederlage will Dürr nicht ohne Kampf akzeptieren: „Ich habe mich immer mit allem abgefunden und weiter gemacht, wenn es an Unterstützung seitens des DBV mangelte. Immer haben wir alles selbst organisiert und bezahlt. Doch jetzt ist Schluss.“ Und so hat sie über ihren Anwalt Alexander Hoffmann eine Einstweilige Verfügung (EV) beim Kasseler Landgericht beantragt, um doch noch dabei sein zu können. „Wir versuchen nachzuweisen, dass der DBV willkürlich entschieden hat. Wenn wir das glaubhaft machen, haben wir eine Chance“, erläutert Hoffmann die Strategie.

Und so steigt Dürr derzeit sechsmal in der Woche ins Training ein um sich fürs EM-Turnier vorzubereiten. Vielleicht ist alles umsonst, aber wenn sie sich eine blutige Nase holt, ob im Ring oder am Richtertisch, dann will sie zumindest sicher sein, alles gegeben zu haben – ganz so wie ihr großes Vorbild Muhammad Ali. Und dann spielt sie auch ihren größten Vorteil aus, mit dem sie schon viele Gegnerinnen zermürben konnte: „Druck machen – das ist meine Hauptstärke!“