SPD-Parteitag: Bitte nicht zu geschmeidig

Am Wochenende stimmten die CDU und die SPD in Schleswig-Holstein dem Koalitionsvertrag zu – die Sozialdemokraten mühten sich den Eindruck zu zerstreuen, sie hätten kaum Probleme mit der großen Koalition. Die Basis durfte sich ausheulen – um dann mit 84 Prozent aller Stimmen das Papier durchzuwinken. Bei der CDU waren es fast 100 Prozent

„Wir haben allen die Gelegenheit gegeben, ihr Bauchgrimmen loszuwerden.“

Noch einmal durfte sie HE!DE Hundertprozent sein: Mit zehnminütigem Beifall und standing ovations feierten und verabschiedeten die Delegierten des SPD-Parteitages am Sonnabend ihre langjährige Ministerpräsidentin Heide Simonis. Der standen Tränen in den Augen, und sie versprach, in Anspielung auf ihren Talkshow-Ausrutscher: „Auf die Frage ‚Wo bleibe ich?‘ sage ich: Ich bleibe bei euch.“ Blumen, Dankesworte – Balsam auf Simonis’ wunde Seele, Balsam für die Basis: „Wir waren es nicht, Heide!“, rief ein Delegierter.

Nein, die Partei trägt keine Schuld am unrühmlichen Abgang ihrer geliebten Frontfrau. Dennoch muss die Partei jetzt mit den Folgen des 17. März klarkommen, dem Tag, der Simonis die Niederlage im Landtag brachte. Fast drei Stunden diskutierten die Delegierten, bevor sie über den Koalitionsvertrag abstimmten – wer sich ausgekotzt hat, kriegt den sauren Apfel besser herunter.

Mehrere Redner sprachen vom Konflikt zwischen Kopf und Bauch: Wie schmerzlich es sei, Positionen aufzugeben, etwa in den Bereichen Umwelt oder Bildung, die Angst davor, dass Kulturpolitik zum „ehrenamtlich verwalteten Anhängsel“ in der Staatskanzlei verkomme. Aber fast alle Redner kamen zu dem Schluss, dass es keine andere Wahl gebe, als sich auf den Pakt mit der CDU einzulassen: „Wir tragen Verantwortung gegenüber denen, die uns gewählt haben“, sagte der designierte Innenminister Ralf Stegner. „Wir dürfen das Land nicht den Schwarzen überlassen.“

Kabinettskollegin Gitta Trauernicht (Soziales, Familie, Gesundheit) höhnte im Rückblick auf die Koalitionsverhandlungen: „Ich hatte gedacht, ein gewisser Männertyp habe sich nicht bis ins dritte Jahrtausend gerettet – es gibt ihn aber noch.“ Selbst mit dem Begriff „Frauenhaus“ habe die CDU Probleme. Dennoch: „Bei den Verhandlungen hatten wir die Lufthoheit, wir sind gut aufgestellt, wir haben unsere Politik durchgesetzt.“

Während etwa zeitgleich CDU-Spitzenmann Peter Harry Carstensen in Neumünster eine deutliche CDU-Handschrift im Koalitionsvertrag feststellte, fand Landes-SPD-Chef Claus Möller viel Rot im Papier: „Das sozialdemokratische Glas bei Inhalten, Strukturen, Personalien ist mehr als halb voll.“ Er meinte allerdings auch, die Basis müsse nun das „Profil der Partei schärfen“ und rote Flagge zeigen, wo die Regierungsmitglieder es nicht könnten: „Getrennt marschieren, zusammen schlagen.“

Bei so viel Zustimmung beschlich die Delegierten irgendwann leise Furcht: „Was gäbe das für ein Bild, wenn das hier geschmeidig und easy durchginge?“, rief ein Redner beschwörend. 100 Prozent Zustimmung zum Zwang- und Zweckbündnis: Bitte nicht.

84 Prozent waren es am Ende, ein deutliches Ja, allerdings weniger deutlich als bei der parallel tagenden CDU, deren Delegierte nach kurzer Beratung zu 97 Prozent zustimmten. „Wir wollten kein Ergebnis, das passt, sondern jeder sollte so abstimmen, wie er es für richtig hielt“, sagte Gitta Trauernicht nach der Abstimmung der taz. Das Ergebnis sei zustande gekommen, weil die Spitzenleute in den vergangenen Tagen ständig an der Basis unterwegs gewesen seien: „Wir haben allen die Gelegenheit gegeben, ihr Bauchgrimmen loszuwerden.“ Die große Koalition sei der richtige Weg: „Ohne die SPD-Beteiligung ginge es gnadenlos zurück in die 50er Jahre.“

Wohin es jetzt geht, wird die Zeit zeigen. In den nächsten Wochen muss ein Nachtragshaushalt aufgestellt werden – und die Finanzen liegen in der Verantwortung der Schwarzen: „Mal gucken, wie die CDU das macht“, sagte der bisherige Ressortchef Ralf Stegner ein wenig hämisch. Er versprach: „Wir werden nicht der brave Juniorpartner sein. Natürlich machen wir keine Opposition in der Regierung, aber es wird Gegenwehr geben. Wir werden auch mal einen Krach riskieren.“

Am Mittwoch wählt der Landtag den Ministerpräsidenten - mal sehen, ob sich jemand enthält. Esther Geißlinger

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