Tulse hat noch einen Koffer in Osnabrück

Auf dem European Media Art Festival in Osnabrück stellte der Filmemacher Peter Greenaway seine Trilogie „The Tulse Luper Suitcases“ vor. Doch auch hier wird sein ehrgeiziges multidisziplinäres Multi-Projekt mit Nichtachtung gestraft. Viel interessanter, so scheint es, ist der Künstler selbst

aus Osnabrück Wilfried Hippen

Der Filmemacher ist pikiert. Seine Filme hat kaum jemand aus dem Publikum gesehen, aber zum Livetalk über sein Werk kommen sie in Scharen. Was sie dann hier wollten, fragt Peter Greenaway, der am Wochenende auf dem European Media Art Festival in Osnabrück seine Trilogie „The Tulse Luper Suitcases“ vorstellte.

Die Antwort wird ihm nicht gefallen, aber die traurige Wahrheit besteht darin, dass ihn alleine auf der Bühne mit einem Mikrophon in der Hand inzwischen mehr Leute sehen wollen als seine Werke. Seine Ein-Mann-Show war tatsächlich unterhaltsamer, inspirierender und provokativer als die Filme, die nach dem gleichen visuellen Schachtelprinzip wie schon „Prospero’s Book“ von 1991 gebastelt waren, und so trotz all der neusten high-definition-Technik seltsam blutleer und antiquiert wirkten.

Mit seinem britischen Witz und seinen hochgebildeten Ausführungen, letztlich also seinen Texten, konnte Greenaway in Osnabrück ironischerweise am ehesten überzeugen, wo er doch gerade gegen die Textlastigkeit in der Filmkunst wetterte. Das Kino kriecht für ihn noch unter den Tyranneien des Rahmens, des Schauspielers, der Kamera und vor allem des Textes, und erst wenn es sich davon befreit hat, erst dann kann man den ersten Film sehen, den Greenaway als solchen gelten lässt.

Immerhin behauptet er mit unerwarteter Bescheidenheit nicht von sich selber, eben diesen ersten Film inzwischen schon selber gedreht zu haben. Stattdessen scheinen ihm seine drei Tulse Luper Filme inzwischen eher peinlich zu sein, dabei waren sie ursprünglich als sein großer Befreiungsschlag gegen die drohende Bedeutungslosigkeit gedacht. Seit „The Cook, The Thief, his Wife and her Lover“ im Jahr 1989 waren seine Filme an den Kinokassen und bei der Kritik geflopt, doch im neuen Jahrtausend hatte er mit Tulse Luper eine Kunstfigur aus seinen frühen Experimentalkurzfilmen zu neuem Leben erweckt. Er stellte ihn in den Mittelpunkt eines riesigen Kunstprojektes, dessen erste Früchte die drei Spielfilme sein sollten, die dann auf den renommiertesten Filmfestivals uraufgeführt wurden und sich jeweils mit einem Star (Isabella Rossellini, Ornella Muti, Franka Potente) schmücken konnten. Der erste Film lief in Cannes immerhin noch im Wettbewerb, der zweite in Venedig in einer Nebenreihe, der dritte wurde in Berlin nur noch versteckt in einer einmaligen Sondervorführung gezeigt, und auf allen drei Festivals verrissen die Kritiker die Filme nicht etwa. Nein, viel schlimmer: sie ignorierten sie!

Inzwischen redet Greenaway über diese aufwendigen Kino-Produktionen so, als wären sie nicht viel mehr als ein Werbetrick gewesen, denn er sei nun einmal ein bekannter Regisseur, für dessen Filme auf den Festivals die roten Teppiche ausgerollt würden, während es so etwas wie die feierliche Premiere einer Website oder einer DVD heute noch nicht geben würde. Wirklich spannend seien für ihn inzwischen diese weiterführenden Arbeiten des extrem ambitionierten „Tulse Luper-Projekts“, von dem er in Osnabrück verkündete, es würde 92 DVDs, verschiedene Opern, eine Fernsehserie, Bücher, Websides und Computerspiele umfassen. Das meiste davon ist allerdings noch in der Planungsphase. Was dies bedeutet, konnte man gerade in Bremen erfahren, wo Greenaway zusammen mit den Schauspielern der Shakespeare Company eine aufwändige Multimedia-Installation in einem riesigen leer stehenden Getreidespeicher produzieren wollte. Diese Pläne gingen leider zusammen mit der Kulturhauptstadt-Bewerbung baden.

Als besessener Verfasser von Listen und auf der Suche nach einem nichtnarrativen Ordnungsprinzip für sein Tulse-Luper- Projekt kam Peter Greenway auf die Idee, dass dieser im Laufe seines Lebens 92 Koffer gesammelt hat, in denen etwa alte Schuhe, Liebesbriefe seiner Eltern oder Fische gelagert wurden. Aus jedem dieser Koffer kann nun neue multidisziplinäre Arbeit entstehen, sodass sich die „Tulse Luper Suitcases“ in ein riesiges, freies System von assoziativ miteinander verbundenen Kunstwerken entwickeln könnte.

Drei dieser Koffer stehen in der Kunsthalle Dominikanerkirche, und in ihnen kann man die ersten Online games der „Tulse Luper Journey“ spielen. Im Koffer „Pornographie im Vatikan“ kann man etwa mit einem elektronischen Radiergummi auf alten Postkarten herumreiben, und wenn man Glück hat, findet sich unter der Tracht einer Nonne deren nacktes Hinterteil. Im zweiten Spiel geht es darum, zerrissene Fotografien von Flüchtlingen zusammenzufügen und das dritten ist eine primitive Flugsimulation, in der man im zweiten Weltkrieg versuchen muss unter Beschuss durch deutsche Flakgeschütze Pakete mit Nahrungsmittel über Holland abzuwerfen. Die Fallhöhe zu Greenaways hohen künstlerischen Ansprüchen ist so groß, dass diese Spiele schon fast komisch in ihrer Banalität sind.

Wirklich interessant könnte dagegen die Ausstellungsreihe „Bolzano Gold“ werden, die von einem Text Greenways über das Gold von jüdischen Familien erzählt, das während des Holocaust zusammengeschmolzen in einem von Tulse Lupers Koffern endet. In den Städten Amsterdam, Berlin, Warschau, Budapest, St. Petersburg und Tel Aviv werden nun Ausstellungen geplant, für die die jüdischen Archive dieser Städte digital erschlossen werden, so dass man sich auf die Spur von tatsächlich von den Juden geraubtem Gold machen kann. Viel mehr als ein Konzept gibt es davon aber noch nicht und dieses wurde auf einer Präsentation im Haus der Jugend vorgestellt.

Insgesamt hatte man den Eindruck, dass da viel geplant und noch wenig realisiert wurde. Vielleicht hätte das European Media Art Festival ja ein Jahr mit seiner Einladung an Peter Greenaway warten sollen, aber dann wäre er wohl für dieses kleine, aber feine Festival, das in diesem Jahr mit 80.000 Euro weniger auskommen musste, zu teuer geworden.