berliner szenen Trinken und Sinken (4)

Schwalbe und Stier

Der Abend war zu Ende, und wie es so geht nach ein paar Bieren, plauderten wir draußen noch ein paar Worte zum Abschied. Plötzlich kam ein Taxi vors Luxus gefahren, aus dem es schon während des Bezahlvorgangs von der Rückbank zu uns herüberschallte: „Ihr Ficker, ihr elenden Ficker!“. Wir waren perplex, als wir in dem großen Blonden, der aus dem Taxi stieg, einen Freund und Exfreund erkannten. Aber statt einer Begrüßung gab es von ihm wieder nur ein inbrünstiges: „Ihr Ficker, ihr elenden Ficker!“. Ausgelassen-hektisch tänzelte der große Blonde mit der Nickelbrille herum: ein Ausfallschritt hier, einer dort, den Kopf mal wie ein Stier nach unten gelegt, dann wieder hoch erhoben auf durchgedrücktem Rückgrat. Auf unsere Frage, woher er käme und sich so zugedröhnt hätte, ließ er ein glücklich-dämliches Schweigen folgen, dann ein Grunzen und ein hektisches Herumgefingere mit einer Zigarette, schließlich wieder nur: „Ihr Ficker, ihr elenden Ficker!“.

Weil da also nicht viel ging, verabschiedeten wir uns von dem blonden Vollmann. Doch so einfach wollte er mit sich und seinem Rausch nicht allein gelassen werden. „Wartet!“, schrie er und baute sich in einer Mischung aus Demut und Aggressivität noch einmal vor uns auf – wieder schweren Sinnes auf der Suche nach Worten, ja nach anderen Worten als „Ihr Ficker, ihr elenden Ficker!“. Eine Suche, die tatsächlich von Erfolg gekrönt wurde mit der Frage: „Was hat euch dieser Abend gebracht?“. Auf unser Schulterzucken und ein besänftigendes „Lass mal gut sein“ lief er weiter und kündigte an, sich vor uns auf die Füße zu werfen. Gesagt – getan, und was folgte, war ein Sinkflug der besonderen Sorte: eine Mischung aus Schwalbe und gefälltem Stier.

GERRIT BARTELS