Einer von fünf Millionen

Gartenzwerge unter Globalisierungsdruck. Ein erschütternder Wichtel-Bericht

„Eine Umschulung zum Troll. Na toll. Als Erstes musst du Norwegisch lernen“

„Es ist, wie es ist“; sagt der Zwerg und nippt an seinem Kaffee. Ein Zwerg wie viele andere auch in diesem Land, 52 Jahre alt, seit 23 Jahren fest angestellt in der Kleingartenkolonie „Blühende Landschaft“ in Berlin-Wilhelmsruh. Aber jetzt ist zum 1. Juni Schluss. „Globalisierung“, sagt der Zwerg, zuckt mit den Schultern und klopft auf das Kündigungsschreiben. „Die Herausforderungen in einer multipolaren und sich stetig vernetzenden Welt gehen auch an uns Zwergen nicht vorüber. Die Vögel zum Beispiel. Früher, ja früher. Damit die Stare nicht die Kirschen stehlen, hast du dich mit einem Windrädchen bei jedem Wetter rausgestellt, tagelang, wochenlang, bis die Ernte eingebracht war. Heute gibt es kirgisische Zwerge, die bringen ihre Pumpgun mit und sorgen für Ruhe, bevor der letzte Star auch nur Piep! machen kann. Bis ich eine Genehmigung für eine Pumpgun bekomme in diesem schwerfälligen, wirtschaftsfeindlichen bürokratischen Dschungel ist Winter. Und der kirgisische Zwerg ist weitergezogen nach Mallorca.“

Das Lachen des Zwergs ist so bitter wie der Kaffee, den er zuvorkommend auf den kleinen Klapptisch gestellt hat.

„Oder die Angel. Früher, ja früher. Eine Angel in die Hand, und sich an den Teich stellen, und alle waren froh. Heute gibt es polnische Zwerge, die jonglieren. Jawohl, jon-glie-ren. Die mähen den Rasen, können dreisprachig telefonieren, haben exzellente Linuxkenntnisse, erwürgen die Maulwürfe, und das alles zu einem Lohn, ach vergiss es einfach.“

Nein, desillusioniert sei er nicht, aber in der Realität angekommen. „Wissen Sie, Zwerg war ja nicht unbedingt mein Traumberuf, früher wollte ich Basketballprofi werden.“ Er räuspert sich in seinen Rauschebart. „Aber dann, auf dem Arbeitsamt. Krisensicher, haben Sie mir gesagt. Schrebergärten hat es schon in der Steinzeit gegeben, Jägerzaun und Sammlerzaun. Und jetzt ist die Krise da.“

Ja, auch die deutschen Gartenzwerge bleiben von der Krise nicht verschont. Basti Komposti, Geschäftsführer der Interessengemeinschaft Zwerg & Garten, sieht auf die 2,5 Millionen organisierten Mitglieder noch härtere Zeiten zukommen. „Früher, da war das ein lebenslanges Vertrauensverhältnis zwischen Pächter und Zwerg. Man lebte in dem Garten, baute ihn gemeinsam auf, stritt gemeinsam mit den Nachbarn, wurde gemeinsam alt. Heute, Call-a-Zwerg, und die ganzen anderen Zeitarbeitsagenturen, das geht alles auf Zuruf. Heute hier, morgen fort. Lose Netzwerke, frei flottierende Anbieter zerstören eine jahrhundertealte Dienstleistungskultur. Alles wird ein bisschen anonymer. Da steht dann jemand auf der Terrasse mit seinem Laternchen und seinem Mützchen, und die Gärtnersleute kennen nicht einmal seinen Namen. Aber so läuft es.“

Das Rad der Zeit, sagt Komposti, kann man nicht zurückdrehen, und die Globalisierung habe auch viele gute Seiten. Sextourismus zum Beispiel, gerade für Zwerge. Aber die Dumpinglöhne müssen und werden sie bekämpfen, er und seine Kozwerge. „Qualität hat ihren Preis“, sagt Komposti mit Nachdruck. „Und ein deutscher Garten wird erst so richtig schön, wenn deutsche Zwerge sich darin tummeln. Deutsche Sprachkenntnisse müssen Standard werden. Schuhplatteln und Jodeln würden wir gerne noch in den Anforderungskatalog aufnehmen, aber das wird schwierig.“

Auch für den Zwerg, 52, wird es schwierig. Was bleibt jetzt noch? „Man muss einmal mehr aufstehen, als man hinfällt“, sagt er. „Eine Umschulung machen, ja gut.“ Er klopft mit seiner wettergegerbten, kleinen Hand auf den Tisch: „Eine Umschulung zum Troll. Na toll. Als Erstes musst du Norwegisch lernen. 360 Stunden als Sprachnachweis sind Pflicht. Norwegische Sagen, norwegisches Liedgut, norwegische Geschichte, norwegische Witze. Wenn es wenigstens eine romanische Sprache gewesen wäre.“ Er trinkt seinen Kaffee aus, der übers Sinnieren und Brüten in der Abendsonne kalt geworden ist. „Oder ich mache mich selbstständig. Als Gnom, das könnte gehen. Sagt jedenfalls der Mann von der Arbeitsagentur. Die bieten auch so einen Crash-Kurs an: „Alle Wege führen zum Gnom“, an drei Wochenenden. Ein fertig ausgebildeter Gnom leitet das Ganze. Es gibt Rollenspiele – was will der Kunde vom Gnom, was hat der Gnom zu bieten, die Grundlagen. Das ganze rechtliche Zeug wird erläutert, ein Marketingexperte gibt Tipps für die Werbung, die Agentur zahlt. Gnom, das könnte was werden.“

Und wenn es nichts wird? Der Zwerg lässt sich nicht aus der Ruhe bringen. „Ich könnte zum Zirkus, als Liliputaner. Dafür müsste ich noch 30 Zentimeter größer sein, wegen der Bauvorschriften für die Toiletten. Aber dafür gibt es eine Hormonkur. Wenn mir ein Zirkus die Zusage für einen Ausbildungsplatz gibt, dann zahlt die Krankenkasse die Kur. Ich habe auch schon eine hübsche kleine Idee für eine Nummer mit einem Basketballkorb.“ Ein deutscher Zwerg 2005, gebeugt, aber ungebrochen, nachdenklich, aber entschlossen. Ein Vorbild für uns alle.

ROB ALEF