HAMBURGER SZENE VON JANNIS FRECH
: Troja in Wandsbek

Eine Verkäuferin kommt angelaufen, aber der Tisch hat keinen Namen, den sie rufen kann

Friedlich liegt der Wandsbeker Markt in der Abendsonne. Müde wirkende Gestalten besorgen letzte Einkäufe des Tages. Das Feierabendbier im Sinn, schlurfe ich wie sie die Straße entlang. Vor einer Billigbäckerei liegt ein großer, tiefschwarzer Hund, festgebunden an einem roten Stehtisch. Er ist völlig ruhig, schläft vermutlich, und doch machen die Menschen einen Bogen um ihn, betreten das Geschäft nur zögernd. „Welch Misstrauen“, denke ich mir und trotte weiter.

Plötzlich ertönt ohrenbetäubender Lärm, ein Schleifen wie von Metall über Stein. „Könnte es etwa“, denke ich – doch bevor der Gedanke fertig formuliert ist, schreit eine Frau auf, kurz und schrill. Etwas rauscht an mir vorbei, erst schwarz, dann rot. Die Frau aber liegt auf dem Rücken wie ein Käfer. Dahinter erscheint ein Mann, er schreit: „Hektor! Hektor!“ Aber Hektor ist jetzt frei und der Tisch sein Gefangener. Eine Verkäuferin kommt angelaufen, aber der Tisch hat keinen Namen, den sie rufen kann. Mitten im Feierabendverkehr überquert der Hund mit seinem Anhängsel bei rot die Straßen und verschwindet hinter hupenden Autos.

Langsam kehrt wieder Ruhe ein. Jemand hilft der Käfer-Frau auf die Beine. Überrumpelt und fasziniert stehe ich da und blinzele in die Abendsonne. Ich denke an Hektor, den Helden Trojas. Ich denke an die Freiheit. Welch stolzer Name! JANNIS FRECH