FELIX LEE POLITIK VON UNTEN
: Antifa mit Tradition

FASSBERGER BRAUCHEN NAZI JÜRGEN RIEGER NICHT ZU FÜRCHTEN. DAS NACHBARDORF HAT’S VORGEMACHT

Schon wieder Rieger. Schon wieder ein Hotel. Schon wieder militante Neonazis. Zum wiederholten Mal versetzt der finanzkräftige Hamburger Rechtsanwalt und NPD-Funktionär Jürgen Rieger mit seinen Anhängern aus der Kameradschaftsszene eine Region in Angst und Schrecken, indem er damit droht, eine leerstehende Immobilie für ein rechtsextremes Schulungszentrum zu erwerben. Dieses Mal trifft es das kleine Heidestädtchen Faßberg im niedersächsischen Landkreis Celle. Und das ist zugleich die gute Nachricht. Denn ausgerechnet dieser Landstrich inmitten der niedersächsischen Provinz hat beste Erfahrungen mit Rieger und seinen Neonazis. Keine zwölf Kilometer von Faßberg entfernt liegt Hetendorf.

Alt-Antifas aus der Norddeutschen Tiefebene dürften sich erinnern: Die alljährlichen Sonnenwendfeiern, Großaufgebote der niedersächsischen Polizei und kilometerlange Latschdemos über die flache Heidelandschaft, ohne von einer Menschenseele beachtet zu werden – Rieger hatte bereits in den 1980er-Jahren mit dem Immobilienerwerb in Hetendorf von sich reden gemacht und das ehemalige Schwesternheim zu einem Tagungszentrum für rechte Veranstaltungen genutzt. In den 1990er-Jahren entwickelte sich Riegers Anwesen zu einer der wichtigsten Schulungsstätten der Rechtsextremisten. Besonders unangenehm: die alljährliche „Hetendorfer Tagungswoche“, zu deren Abschluss hunderte von Neonazis und Anhängern der Wiking-Jugend mit martialisch anmutenden Fackelmärschen die „Sonnwend“ feierten.

Die Hetendorfer reagierten zunächst verschreckt, dann versuchten sie es mit Unterschriftenlisten und Appellen an die Politiker. Als das wenig brachte, entwickelte sich im gesamten Celler Landkreis über die Jahre hinweg eine immer aktivere Protestszene, die auch die körperlichen Auseinandersetzungen mit den Neonazis nicht scheute. Eine ganze Antifa-Generation, die über Niedersachsen hinaus aktiv war, brachte der Hetendorfprotest hervor.

Nachdem es ab 1995 wiederholt zu schweren Auseinandersetzungen zwischen Rechtsextremisten und GegendemonstrantInnen gekommen war, entschloss sich Niedersachsens damaliger Innenminister Gerhard Glogowski im Februar 1998 zu einem Verbot des rechten Tagungszentrums. Begründung: Die Heidenheime bekämpfen die Verfassung. Rieger musste sein Anwesen aufgeben. Noch heute trauern Nazis den Tagungswochen mit ihren Sonnwendfeiern hinterher, die es mangels Standort in dieser Form seitdem nicht mehr gegeben hat.

Ob Jürgen Rieger nun ein gutes Jahrzehnt später tatsächlich wieder mit einem neuen Tagungshaus an die Anfangsjahre anknüpfen möchte oder sich bloß an der Region rächen will, indem er – wie an anderen Standorten auch – die Gemeinden dazu bringt, zu überhöhten Preisen das leerstehende Anwesen zu kaufen, ist nicht ganz zu durchschauen.

Die Protestseite hat sich dennoch bereits wieder formiert.

■Der Autor ist taz-Redakteur für soziale Bewegungen Foto: Wolfgang Borrs