Und keiner weint ihm nach

NEUANFANG Fabio Capello wird vom Verband zum Rücktritt gedrängt. Jetzt soll Tottenhams Trainer Harry Redknapp das englische Nationalteam bei der EM in Polen und der Ukraine zum Erfolg führen

Die Erwartungen der Fans stehen in keinem realistischen Verhältnis zum Leistungsvermögen des Teams

VON RALF SOTSCHECK

Englands Fußball-Nationalmannschaft hat vier Monate vor der Europameisterschaft ihren Trainer verloren. Fabio Capello ist am Mittwochabend zurückgetreten, weil der Verband John Terry als Mannschaftskapitän abgesetzt hat. Terry muss sich wegen Rassismusvorwürfen vor Gericht rechtfertigen. Er soll seinen Gegenspieler Anton Ferdinand von den Queens Park Rangers als „verdammte schwarze Fotze“ beschimpft haben.

Vorige Woche bekannte sich Terry nicht schuldig. Die Hauptverhandlung findet vorsichtshalber erst nach der Europameisterschaft am 9. Juli statt, so dass Terry vorerst spielen kann. Er bildet mit Anton Ferdinands Bruder Rio die Innenverteidigung der Nationalmannschaft. Terry hätte nicht bestraft werden dürfen, ehe das Gericht nicht die Schuld des Spielers festgestellt habe, sagte Capello am Montag im italienischen Fernsehen und brüskierte damit den Verband. Der reagierte umgehend. Er bat Capello zum Gespräch über seine Zukunft – und legte ihm offenbar den Rücktritt nahe.

Nun soll es Harry Redknapp richten. Er ist der Wunschkandidat des Verbands, nachdem er wenige Stunden vor Capellos Rücktritt von einem Londoner Gericht vom Vorwurf der Steuerhinterziehung freigesprochen wurde. Der 64-Jährige steht noch bei den Tottenham Hotspurs unter Vertrag, die zum ersten Mal seit einem halben Jahrhundert in der Premier League oben mitspielen. Redknapp könnte das Amt nach Saisonende im Mai übernehmen. Beim Freundschaftsspiel gegen die Niederlande Ende des Monats wird Stuart Pearce auf der Trainerbank sitzen, der ehemalige Außenverteidiger, der bei der Weltmeisterschaft 1990 im Elfmeterschießen gegen Deutschland den entscheidenden Elfer versiebt hat.

Capello war seit 2007 Trainer der Engländer. Der 65-jährige Italiener hat mit dem englischen Team eine souveräne Europameisterschaftsqualifikation ohne Niederlage hingelegt, aber man hat ihm die Viertelfinalniederlage gegen Deutschland bei der Weltmeisterschaft vor zwei Jahren in Südafrika nicht verziehen. Sie wurde als Demütigung empfunden, und so weint ihm nun niemand eine Träne nach.

Englands Nationaltrainer haben es immer schwer, weil die Erwartungen der Fans und der Medien in keinem realistischen Verhältnis zum höchst durchschnittlichen Leistungsvermögen der Mannschaft stehen. In den vergangenen beiden Jahrzehnten wurde jeder Trainer nach seinem Rücktritt oder seiner Entlassung mit Häme überschüttet. Capello geht es nicht anders. Man wirft ihm nun vor, dass er über Weihnachten verreist war, statt seine Spieler zu begutachten, denn die englische Liga hatte keine Weihnachtspause. Er scheine recht oft auf Reisen gewesen zu sein, lästerte der Guardian. Das Boulevardblatt Sun bezeichnete Capellos Kritik an Terrys Absetzung als „den größten Akt von Illoyalität eines ohnehin weit überbezahlten Mannes“. Der Sportjournalist Richard Williams meint, Capello habe sich nie bemüht, richtig Englisch zu lernen. „Die sechs Millionen Pfund, die er im Jahr kassierte, waren nicht genug, um in ihm ein Interesse für die Kultur des Landes zu wecken, dessen Nationalsport er wiederbeleben sollte“, sagt Williams.

Capello habe sein Vermögen in Kunst angelegt, unter anderem soll er mehrere Kandinskys besitzen, während Redknapp den Eindruck mache, als besuche er täglich Straßenmärkte. Capello habe laut Williams nie die grundlegenden Qualitäten des englischen Fußballs respektiert, während Redknapp damit aufgewachsen sei. Er habe noch mit den Helden von 1966 zusammengespielt. Das wird ihm aber nichts nützen, sollte England bei der EM in Polen und der Ukraine in diesem Sommer sang- und klanglos ausscheiden.