Die Hoffnung schaut zu

An den Straßenrändern von Georgia, in Kalifornien und sogar in Belgien sucht der amerikanische Radsport seine Zukunft und Bewältigungsstrategien für die Zeit nach Lance Armstrong

AUS AUGUSTA SEBASTIAN MOLL

Jonathan Vaughters ist nicht besonders gut auf Lance Armstrong zu sprechen, seit er vor fünf Jahren vom damaligen US-Postal-Kapitän aus der Mannschaft geekelt wurde. Vaughters redet seither nicht mehr mit Armstrong, und umgekehrt, und vielleicht ist das einer der Gründe dafür, dass Vaughters sich schwer tut, Armstrong die uneingeschränkte Macht über den amerikanischen Radsport zuzugestehen: „Der Erfolg des Radsports in den USA“, sagt Vaughters, der seine aktive Karriere 2003 beim französischen Rennstall Crédit Agricole beendete, „hängt nicht an einer Person.“

Jonathan Vaughters ist mittlerweile Sportdirektor bei der amerikanischen Nachwuchsmannschaft TIAA-Cref und kommt selbst in dieser Funktion nicht an Armstrong vorbei. In der Vorwoche durften es seine jungen Fahrer während der Tour of Georgia mit dem großen Idol aufnehmen, der das derzeit einzige ernst zu nehmende internationale Profirennen in den USA als Fünfter beendete und seinem Team-Kollegen Tom Danielson zum Gesamtsieg verhalf. In diese Art von Rennen legt Vaughters große Hoffnungen für die Zukunft des amerikanischen Radsports, größere als in den anhaltenden Star-Kult um den sechsfachen Tour-Champion: „Unsere ganze Generation von Fahrern um Lance herum ist durch die Coors Classic damals zum Radsport gekommen“ – das letzte Profirennen von Format vor der Tour of Georgia in den USA, das 1993 starb. „Irgendwo in Georgia“, so Vaughters letzte Woche, „stehen jetzt zehnjährige Jungs am Streckenrand und drängeln dann ihre Eltern dazu, ihnen ein Rennrad zu kaufen.“

Ob die Tour of Georgia allerdings ohne Lance Armstrong Bestand haben wird, ist alles andere als gewiss. So sehr sich Vaughters und viele andere im amerikanischen Radsport Autonomie von Armstrong wünschen, so bange ist ihnen davor, diese Autonomie der Praxis zu unterziehen. Der Titelsponsor der Tour of Georgia etwa, der Autohersteller Dodge, engagiert sich nur Jahr für Jahr für die Runde durch den US-Südstaat. Wobei Renndirektor Stan Holm glaubt, dass er mit einer der am raschesten wachsenden Sportarten der USA und der Werbung für einen „gesunden Lebensstil“ ein Konzept habe, das die Förderer auch ohne Armstrong lockt. Wissen kann Holm das allerdings nicht – gut möglich, dass es schon im kommenden Jahr keine Tour of Georgia mehr gibt. Dafür wird es im kommenden Jahr definitiv die Tour of California geben – der Unterhaltungs- und Sportvermarktungskonzern Anschutz Entertainment pumpt über fünf Jahre 35 Millionen Dollar in das neue Event. Das erklärte Ziel ist es, in diesem Zeitraum Teil der Pro Tour zu werden, der Champions League des Welt-Radsports.

Immerhin, es tut sich etwas im US-Radsport, deutlich mehr jedenfalls als vor 1999, als Lance Armstrong erstmals die Tour de France gewann. Damals gab es drei Profiteams in den USA, mittlerweile gibt es 15. „Die Situation bei der Sponsorensuche ist noch immer nicht gut“, sagt Jonathan Vaughters. „Aber man kommt mittlerweile bei den Firmen immerhin bis ins Vorzimmer.“ Einer der Gründe, warum die Marketingdirektoren der Konzerne ein Ohr für den Radsport haben, ist, dass Radsport in den vergangenen Jahren als Fitnesstrend unter ihrer demografischen Gruppe einen enormen Boom erlebt. „Radfahren ist so etwas wie das neue Golf“, erklärt Vaughters. Das Flair einer komplizierten europäischen Sportart zieht eine gut verdienende urbane Elite an: „Radsport ist eine exotische Spezialität, so wie Gänseleberpastete“, sagt Vaughters. „Im Mittleren Westen wird man komisch angeschaut, wenn man davon erzählt, in New York gilt man als sophisticated.“

All das sind gute Anfänge und Vorzeichen, die gerade erst entstehenden Strukturen im amerikanischen Radsport sind aber noch alles andere als stabil. Noch lange ist nicht gewährleistet, dass nach dem Karriereende von Armstrong nicht alles wieder kollabiert, wie nach dem Abgang von Greg LeMond vor mehr als zehn Jahren. Jetzt gibt es wieder eine ganze Generation von Fahrern, die im Windschatten von Armstrong Profiverträge in Europa schon haben oder kurz davor stehen, welche zu bekommen. Verantwortlich dafür sind Initiativen wie die von Vaughters, der seine Erfahrung als Rennfahrer und seine Kontakte in Europa nutzt, um jungen Fahrern den Weg in den Profisport zu ebnen. Eine andere solche Initiative ist die des amerikanischen Radsportverbandes, der seit drei Jahren eine Art Internat in Belgien unterhält, wo junge Fahrer an die Härte des europäischen Rennbetriebs herangeführt werden.

„Wenn ich es irgendwie verhindern kann, schläft das alles nicht wieder ein, so wie nach LeMond“, sagt Steve Johnson von USA Cycling. Und sogar Armstrong persönlich hat gelobt, nach seinem Karriereende persönlich alles dafür zu tun, junge Fahrer zu fördern und seine Erfahrungen weiterzugeben. Allerdings dämpft auch der Champion die Erwartungen: „Wir sind verwöhnt in Amerika von meinen Siegen und denen von LeMond. Es kann passieren, dass wir uns auf eine Flaute einstellen müssen.“