REICHER NORDEN IST EMPÖRT: FREIER HANDEL IST DOCH NICHT FAIR
: Die WTO braucht Mindeststandards

Die EU-Kommission will überprüfen, ob bei den Textilexporten aus China, die den europäischen Markt überschwemmen, alles mit rechten Dingen zugeht. Die US-Gewerkschaften haben scharf gegen die Pläne von DaimlerChrysler protestiert, in China Billigautos für den Export in die USA bauen zu lassen. Seit China den Weltmarkt immer erfolgreicher aufrollt, finden die Länder des Nordens den Welthandel gar nicht mehr so richtig fair.

Der Chef der US-Automobilarbeitergewerkschaft findet die Stundenlöhne von 1,50 bis 1,95 Dollar in der chinesischen Kfz-Industrie unfair, die US-Regierung kritisiert, wie die chinesische Regierung den Wechselkurs ihrer Währung und damit auch die Preise der Exportgüter künstlich drückt. Die EU moniert, dass die Textileinfuhren aus China so dramatisch zunehmen. EU-Handelskommissar Peter Mandelson beteuerte zwar, er glaube an den Freihandel. Aber selbst in den Hochburgen des Neoliberalismus werden Fragen darüber laut, ob unter gegenwärtigen Bedingungen die klassische Handelstheorie wirklich stimmt, der zufolge internationaler Handel allen Beteiligten nützt.

Der Altmeister der Wirtschaftswissenschaften, Paul Samuelson, zweifelt daran schon länger. Länder wie China oder Indien sind zwar nach wie vor Billiglohnländer, doch bei der Produktivität hinken die Arbeiter ihren Kollegen aus den westlichen Industrieländern kaum noch nach. Auf einmal geht der komparative Vorteil der Industrieländer in einer Branche nach der anderen verloren – erst in der Textilindustrie, dann in der Automobil- oder der Computerindustrie. Doch der Kostennachteil der höheren Löhne, der bleibt.

Einst war es der Norden, der die Liberalisierung des Welthandels durchpeitschte – damals, als er noch einen enormen Produktivitätsvorsprung hatte und die Entwicklungsländer nur ein paar Rohstoffe dagegenzusetzen hatten. Jetzt könnte die politische Chance da sein, ein faireres Welthandelssystem zu schaffen. Ein erster Schritt wäre es, wenn die Welthandelsorganisation endlich die Einhaltung von Sozial- und Umweltmindeststandards verbindlich machen würde. NICOLA LIEBERT