HOSTEL DANZIGER STRASSE
: Das Spitzenhöschen

Ich rüste mich mental für den Tattoo-Shop

Das Hostel an der Danziger Straße ist mir von einer Freundin empfohlen worden. Es sei das Günstigste, was man in Berlin bekommen könne, meinte sie, und man hätte sogar ein Einzelzimmer. Dann druckste sie ein wenig herum. Das einzig Schwierige sei, an den Schlüssel zu kommen. Den müsse man im Tattoo-Laden gegenüber abholen. Der sei ein wenig schmuddelig, meinte sie, und die drei Männer hinter dem Ladentisch hätten baumstammdicke Oberarme, die über und über mit Tätowierungen bedeckt seien.

Sie musterte mich und schätzte ab, wie viel Information ich noch vertragen konnte. Ihre Gesichter seien auch tätowiert, sagte sie. Man sehe kein einziges Fleckchen Haut mehr.

Ich gehe also die Danziger Straße entlang und rüste mich mental für die Begegnung im Tattoo-Shop. Ich überlege, welchen Gesichtsausdruck ich aufsetzen kann, um nicht allzu offensichtlich eingeschüchtert zu wirken. Ich war noch nie in einem Tattooladen. Weder in einem schmuddeligen noch in einem nicht schmuddeligen. Ich war auch noch nie in einem Piercingshop. Für mich bedeutet schon das Betreten eines Frisörladens eine kaum zu bewältigende Herausforderung. Plötzliche Veränderungen meines Aussehens erschrecken mich.

Dann jedoch finde ich den besagten Laden nicht. An der Stelle, die meine Freundin mir beschrieben hat, ist ein ziemlich buntes Schaufenster mit Modeschmuck und Spitzenhöschen. Ich gehe ratlos die Straße auf und ab, aber woanders kann es nicht sein.

Schließlich betrete ich den Laden. Bekommt man hier den Schlüssel fürs Hostel, frage ich ziemlich mutlos. Man bekommt ihn hier, versichert mir die adrett gestylte Verkäuferin freundlich. Sie faltet gerade ein Höschen und händigt mir den Schlüssel sofort aus. Ich bin auf merkwürdige Weise enttäuscht. SANDRA NIERMEYER