WAS BISHER GESCHAH (2)
: Anke und die Gutmenschen

Ein Mann im Publikum ruft stehend Bravo, wird dann aber von der Security genötigt, sich wieder zu setzen

Die 3sat-Moderatorin Tina Mendelsohn scheint aus dem Häuschen zu sein. Gleich geht die Eröffnungsgala zur 62. Berlinale los, da muss in wenige Sätze viel hinein: „In diesem Jahr eine sagenhafte Anzahl Superstars. Und dann diese Spannung – Sie fühlen das vielleicht auch. Es ist sehr kalt, minus sechs Grad. Aufbrüche und Umbrüche das Motto. Diese Berlinale will grüner werden: Man fährt Bahn, und der rote Teppich wird mit Energiesparlampen beleuchtet.“ Auf diesem Teppich steht jetzt Festivalchef Kosslick. Er trägt Ohrenschützer, bestickt mit roten Berlinale-Bären. Diane Kruger sagt auf die Frage, wie sie es finde, dass ihr Film die Berlinale eröffnet, in expat-like-hölzernem Deutsch: „Es ist ein Traum, den ich gar nicht gewagt hätte zu träumen.“ Man glaubt ihr kein Wort.

Dann beginnt die Gala. Im Dunkeln hört man die Stimmen von Kosslick und Anke Engelke. „Dieter? Is that your hand on my leg?“ „No, it’s my leg. I think it’s your hand.“ „Is that a leg?“ „It’s two legs actually. One is jetlag.“ Spot on. Kosslick und Engelke auf dem Balkon, pendelnd zwischen hohldrehender Performance, Publikumsbeleidigung und peinlichem Versagen. Ihrem gemeinsamen verflixten sechsten Jahr begegnen sie mit ausgestellter Gelangweiltheit. Das soll lustig sein. Niemand lacht. Die Band Boy spielt.

Der offizielle Part folgt. Begrüßung der politischen Granden, Dank an die Sponsoren. Engelke leckt sich angewidert über die Schneidezähne, findet Göring-Eckardts Namen „funky“, stellt das Fehlen der Bundesjustizministerin fest und beruhigt, des Kulturstaatsministers Rede werde sicher nicht lange dauern. Der betritt düpiert die Bühne und gibt staatsmännisch den Gutbürger: Will Flagge zeigen für Menschenrechte und die Freiheit der Kunst, schickt solidarische Grüße an den inhaftierten Filmemacher Jafar Panahi und die Menschen in Syrien. Der leicht angetrunken wirkende Wowereit im Anschluss legt drauf. Will lieber gleich über Millionen Aidstote reden, über hungernde Kinder und über kriegerische Auseinandersetzungen weltweit. Und genau dafür stehe auch die Berlinale. Als er dann in den Saal ruft: „Berlinale macht Spaß!“, reagiert der Saal zögerlich. Die Band Boy spielt ein zweites Stück: „Oh Boy“.

In einem Trailer, zusammengeschnitten aus den Weltpremieren im Wettbewerb, sieht man vor allen Dingen historische Kostüme. Bei der Vorstellung der Jury bekundet Präsident Mike Leigh seine Überwältigt-, Geschockt- und Beglücktheit. Boualem Sansal fordert dazu auf, auch an den arabischen Raum zu denken, ein Mann im Publikum ruft stehend Bravo, wird dann aber von der Security genötigt, sich wieder zu setzen. Jake Gyllenhaal macht Witze über die Aussprache seines Nachnamens. Und endlich erklärt Kosslick die Berlinale für eröffnet.

KIRSTEN RIESSELMANN