Ab jetzt: „Unvorhersehbare Aktionen!“

Nach den gescheiterten Tarifverhandlungen für die 900.000 Landesbeschäftigten denkt Ver.di über die Formen eines Arbeitskampfes nach. Streiks allerdings will Ver.di-Chef Bsirske nicht flächendeckend und auch lieber keine Urabstimmung

AUS BERLIN ULRIKE HERRMANN

Über 12 Stunden hat man getagt, bis spät in die Nacht. Umsonst. Nach insgesamt drei Gesprächsrunden stellte die Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di gestern offiziell fest, dass die Tarifverhandlungen für den öffentlichen Dienst in den Ländern gescheitert sind. Man habe sich mit den Finanzministern „in einem zentralen Punkt“ nicht einigen können: bei der Arbeitszeit.

Die Tarifgemeinschaft deutscher Länder wollte im Kern erreichen, dass für die Angestellten ähnliche Bedingungen gelten wie schon für viele Landesbeamte: Die Arbeitszeit soll auf bis zu 42 Stunden steigen können. Rund 900.000 Landesbeschäftigte wären betroffen.

Ver.di hingegen strebt an, dass die Länder jenen Tarifvertrag modifiziert übernehmen, den die Gewerkschaft im Februar mit Bund und Kommunen für 2,1 Millionen Beschäftige geschlossen hat. Dort wurde festgehalten, dass sich die Arbeitszeit im Westen und im Osten auf 39 Wochenstunden angleichen soll. Bisher liegt sie bei 38,5 beziehungsweise 40 Stunden. Allerdings gibt es Öffnungsklauseln: Wenn Arbeitgeber und Gewerkschaften einverstanden sind, können in den Kommunen auch höhere Arbeitszeiten vereinbart werden.

Nach den gescheiterten Verhandlungen kündigte Ver.di-Chef Frank Bsirske gestern „flexible und unvorhersehbare Aktionen“ in den Landesverwaltungen an. Urabstimmungen und flächendeckende Streiks soll es jedoch nicht geben. „Neue Zeiten, neue Verfahrensweisen“, kommentierte Bsirske lapidar.

Aktionen sind beispielsweise in Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Hessen angesagt. Dabei schloss Bsirske nicht aus, dass Ver.di mit einzelnen Ländern gesonderte Tarifverträge abschließen könnte. Damit wäre die Tarifgemeinschaft der Länder dann endgültig gesprengt – nachdem Hessen und Berlin bereits ausgetreten sind.

Schon im Vorfeld der gescheiterten Tarifverhandlungen hatte es Warnstreiks gegeben – etwa in einigen Autobahn- und Straßenmeistereien. Diese Aktionen haben die Arbeitgeber anscheinend nicht sonderlich beeindruckt. Bsirske konstatierte gestern bei den Finanzministern „eine offensichtliche Lustlosigkeit zu verhandeln“. Die Länder setzten „das Diktat an die Stelle von Kompromissen“.

Der Konflikt zwischen den Gewerkschaften und den Ländern eskaliert schon länger: Im letzten Jahr haben die Finanzminister die Tarifverträge zur Arbeitszeit einseitig aufgekündigt. Seit dem 1. Mai 2004 können sie daher bei Neueinstellungen, Verlängerungen von Zeitverträgen und auch Beförderungen mit den Betroffenen Einzelverträge schließen. Auch ohne eine Einigung mit Ver.di wären die Landesfinanzminister daher recht schnell am Ziel: Nach etwa vier bis fünf Jahren dürften rund die Hälfte aller Beschäftigen zu den schlechteren Konditionen arbeiten.

Der Marburger Bund, die Ständevertretung der Krankenhausärzte, hat bereits vorgerechnet, was eine 42-Stunden-Woche bei gekürztem Urlaubs- und Weihnachtsgeld bedeutet: eine Einkommenseinbuße von etwa zehn Prozent.

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