Franz Müntefering schon fast wie Jesus

Weiterhin großer Zuspruch für die Kapitalismuskritik des SPD-Chefs. Benneter: „Auch Jesus musste klar sprechen.“ Konkrete Pläne zur Umsetzung stehen weiterhin aus. Morgen berät das Kabinett über Mindestlöhne. Diskussionsforum im Juni

VON ULRIKE WINKELMANN

Wenn gewonnen hat, wer den anderen als Erster „Hysterie“ vorwirft, dann durfte die SPD gestern einen kleinen Sieg verzeichnen. Genüsslich erklärte Generalsekretär Klaus Uwe Benneter, die Einlassungen von SPD-Chef Franz Müntefering zum Kapitalismus hätten zu „teils hysterischen Reaktionen“ geführt.

In der Tat wurde etwa der Chef des Arbeitgeberverbands Gesamtmetall, Martin Kannegiesser, auf dem Titel des Handelsblatts zitiert: Die SPD wolle aus Deutschland eine „große graue DDR“ machen. Doch wird Müntefering laut Benneter ja nicht nur vom größten Teil der deutschen Bevölkerung, sondern auch von den Kirchen wärmstens unterstützt. Benneter zitierte Georg Kardinal Sterzinsky: „Auch Jesus musste klar und unmissverständlich sprechen, um seine Botschaft unterzubringen.“

Auch bevor Müntefering womöglich noch heilig gesprochen wird, attestieren ihm sämtliche Sozialdemokraten seit Tagen, er habe „den richtigen Ton“ beziehungsweise „Nerv“ getroffen. Müntefering hatte Mitte April die Verantwortungslosigkeit mancher Unternehmer, Manager und Finanzinvestoren gegeißelt. Letztere nannte er „Heuschreckenschwärme“. Der profitorientierte Abbau von Arbeitsplätzen gefährde außerdem die Demokratie.

Dass die SPD im nordrhein-westfälischen Wahlkampf auf diese Weise punkten könnte, zeigt sich auch an den unsicheren Antworten aus dem Unionslager: „Wahlkampfgetöse“, zischte CDU-Generalsekretär Volker Kauder gestern. Gleichwohl haben verschiedene Unionspolitiker schon deutlich gemacht, dass sie sich etwa die schöne Formel, wonach Menschen und nicht Profite im Mittelpunkt stehen, ungern wegnehmen lassen.

Doch nicht nur auf Unions-, sondern vor allem auf SPD-Seite ist nach wie vor offen, was aus Münteferings Worten außer getroffenen Nerven und Tönen sowie Formelkämpfen folgt. „Es geht nicht darum, irgendwelche kurzfristigen Maßnahmen anzukündigen“, bestätigte Benneter den Wirtschaftsminister Wolfgang Clement. Der Geschäftsführende Fraktionsvorstand der SPD wollte gestern eine Arbeitsgruppe einsetzen. Diese soll laut Benneter bis „Mitte Juni ein Forum zur Sozialen Marktwirtschaft“ organisieren. Dort werde politische Handlungsfähigkeit im nationalen und internationalen Rahmen diskutiert. Des Weiteren steht auf dem Regierungsfahrplan, was dort auch vor der Kapitalkritik stand: die Bekämpfung von Dumpinglöhnen durch eine neue Mindestlohnregelung. Hierzu wird morgen das Kabinett beraten. Anders als die Grünen erklärte Benneter gestern, dass die notwendige Ausweitung des Entsendegesetzes sehr wohl durch den Bundesrat müsse und also der Zustimmung der Unionsländer bedürfe.

Sämtliche anderen Ideen, die von den SPD-Linken in den vergangenen Tagen ins kapitalkritische Aufmerksamkeitsfenster gehalten wurden, dürften dank der Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat nun jedoch bestenfalls intensiver gelüftet werden. Über eine Bürgerversicherung in der Pflege will die Union noch nicht einmal reden, die Regierung bislang übrigens auch nicht. Eine Erbschaftssteuer-Erhöhung wird von einem jüngst erst verschobenen Urteil des Bundesverfassungsgerichts abhängig gemacht. Soll jedoch niemand sagen, die SPD habe nicht mindestens drüber geredet.