Ein Klops Hoffnung

1940ER Ein Steak bestand zu Kriegszeiten aus Haferflocken. Es versprach bessere Tage. Teil 1 unserer neuen Serie

■ Die Serie: Mangel, Wirtschaftswunder, Globalisierung. Oder, anders gesagt: Beefsteak ohne Beef, Sahnetorte, Toast Hawaii. Mit einem Blick auf die Teller des letzten Jahrhunderts versucht die sonntaz in den kommenden Wochen, die Gesellschaft und ihre Entwicklung zu erklären. Genauer: mit einem Blick auf jenes Gericht, das im jeweiligen Jahrzehnt besonders gern und viel gegessen wurde. Wie spiegeln Küchentöpfe die Zeit, in der man lebte? Was verraten sie über politische und wirtschaftliche Situationen von damals? Diesmal, Teil 1: die vierziger Jahre, Knappheit und Hunger. Essen bedeutet Ersatz. Statt Steak aus Fleisch gibt es Steak aus Haferflocken. Nächste Woche: die Fünfziger. Oder, anders gesagt: die Buttercremetorte.

■ Das Jahrzehnt: Zweiter Weltkrieg, Holocaust, Atomwaffen, Kapitulation, Stunde null, Nürnberger Prozesse, Besatzungszonen, Kalter Krieg, Kälte, Krankheiten, Hunger, Brot-, Fleisch-, Fett-, Eier-, Marmelade/Zuckerkarten, Fettmangel, Ersatzkuchen, Muckefuck, Hamsterfahrten, Tauschhandel, Schwarzmarkt, Care-Pakete, Berlin-Blockade, Währungsreform.

VON STEFFEN GRIMBERG

Die deutsche Frau, wie wir sie uns denken, muß, wenn es die Lage des Volkes erfordert, verzichten können auf Luxus und Genuß. Sie muß geistig und körperlich arbeiten können, und sie muß aus dem harten Leben, das wir heute zu leben gezwungen sind, ein schönes Leben machen können.“

Reichsfrauenführerin Gertrud Scholtz-Klink

Nur damit kein Missverständnis aufkommt: Die martialischen Stanzen eröffnen – ein Backbuch. Es ist noch nicht mal aus den letzten Kriegsjahren, sondern von 1942, „bearbeitet vom Frauenamt der Deutschen Arbeitsfront und dem Deutschen Frauenwerk, Abt. Reichsmütterdienst“. Auf dem Cover ein kindergeburtstaglich geschmückter Napfkuchen mit Kerzen und Blümchen. „Gut backen im eigenen Herd!“, heißt es, doch von gut backen konnte schon bald keine Rede mehr sein.

Echte Eier, weißes Mehl und vor allem das nötige Fett wurden knapper und knapper. Immerhin konnte quietschsüßer Kunsthonig aus Invertzucker über manches hinweghelfen. Doch der Kuchen gab sich – wenn er überhaupt noch gebacken wurde – immer krümeliger. Das verband ihn mit diversen Fleischgerichten, in denen zunächst noch ein Krümel totes Tier und später fast nur noch Haferflocke war – wie beim garantiert vegetarischen Deutschen Beefsteak.

Das deutsche Volk nahm es hin, es war schon vor der Einführung von Lebensmittelkarten gut vorbereitet worden mit dem sonntäglichen Eintopfgericht, das man im Geiste mit dem Führer aß. Heute würde so etwas auf Facebook der Renner.

Doch die Nazis schafften es ganz ohne digitalen K(l)ick, die virtuelle Volks- und Fressgemeinschaft um die immer leereren Töpfe zu scharen. Aus wenig viel zu machen, sich zur Not vollends in die Tasche zu lügen, wurde zur Tugend – und mit deutscher Gründlichkeit vermittelt.

So auch beim oben aufgeführten Rezept, in dem das – auch in der Friedensware namens Frikadelle oft überreichlich vorhandene – Bindemittel stracks die Hauptrolle übernahm. Glücklich, wer noch an Haferflocken plus Kunsteipampe kam. Der konnte wenigstens die Illusion einer Frikadelle aufrechterhalten. Und brauchte kein Fleisch, sondern nur deutsche Esser, um auch mitten im Krieg ein „Deutsches Beefsteak“ zu zelebrieren.

Die Ausgabe 16 des Lubliner Wochenprogramms aus dem besetzten polnischen Lublin annonciert für den 8. und 9. Februar 1944 diesen „Kurz-Kursus“ für die deutsche Frau am Herd: „Die Fleischration richtig einzuteilen, erfordert mancherlei Übung. Wir geben einige Rezepte zu solchen Speisen, die sicherlich jede Frau kennt“, heißt es da. Und dann folgen „Kartoffelrand mit Wurstwürfelchen“ oder „Falsche Würstchen im Schlafrock“. Ganz nebenbei räumt dieses Kochkursangebot – selbstverständlich nur für die arischen Siegerinnen im sogenannten Generalgouvernement gedacht – mit der bis in jüngste Zeit grassierenden Mär auf, die Versorgung der deutschen Bevölkerung sei den Nazis bis zum „Zusammenbruch“ ganz leidlich gelungen. Zumindest bei Fleisch sah es schon recht früh zappenduster aus.

Die „Schriftenreihe für die praktische Hausfrau“ rät schon 1942 im Sonderheft „Lebensmittelkarten und richtige Ernährung“ zu „gebräunten Kohlrüben“ und setzt so den Trend für die Zeit nach Kriegsende. Da wurde es dann wirklich schlimm. „Der Geruch von verbrannten Städten lag über dem Land; das Reich war untergegangen und mit ihm alles, was den Deutschen als Lebensinhalt galt“, schreibt einer, der es miterlebt hat und etwas von Küche versteht – Wolfgang Siebeck: „Viele weinten: aus Selbstmitleid und vor Hunger.“

■ Zutaten:250 Gramm Haferflocken 1/2 Tasse Wasser 1 Zwiebel 1 Esslöffel Schnittlauch 1 Ei oder Eiaustauschmittel (z. B. Soja-, Stärkemehl, Leinsamen) Pfeffer und Salz 1 Esslöffel Semmelbrösel etwas Fett zum Backen

■ Rezept:Haferflocken mit dem Wasser aufkochen. Eindicken lassen. Gehackte Zwiebel und fein gewiegtes Schnittlauch zugeben. Salzen, pfeffern, mit Ei oder Eiaustauschmittel binden. Aus der Masse Bratlinge formen, in Semmelbröseln wenden und in wenig Fett braten.

Gleich nach Kriegsende betrugen die Rationen für Erwachsene deutscher Staatsangehörigkeit in Berlin 200 Gramm Brot, 25 Gramm Fleisch, 400 Gramm Kartoffeln, 10 Gramm Zucker, 10 Gramm Salz und 2 Gramm Kaffee – macht rund 900 Kalorien. Kinder bis 14 Jahre mussten mit 150 Gramm Brot, 25 Gramm Fleisch, 200 Gramm Kartoffeln, 10 Gramm Zucker, 5 Gramm Fett, 10 Gramm Salz und 1 Gramm Kaffee – rund 650 Kalorien – auskommen.

Vor allem die Winter 1946 und 1947 waren brutal, und auch wenn Siebecks Diktum zynisch klingt – hätte die deutsche Hausfrau je Fantasie bewiesen, dann in diesen Hungerjahren: Es ist was dran. Kartoffeln, zur Not nur die Schalen, Brotsuppe, alles Rübige und natürlich die Haferflocken ergaben den Speisezettel. Der Kaffee wuchs nicht mehr auf äthiopischen Hochebenen, er wurde im deutschen Wald aufgelesen, Eicheln, Bucheckern. Wohl dem, der ein paar „Kälberzähne“ genannte Großgraupen in der dünnen Suppe fand. Der bis vor kurzem schlechte Ruf der Steckrübe – heute wieder gern im Wok angeschwenktes Streifengemüse zum auf der Haut gebratenen Winterkabeljau mit lila Senfemulsion – stammt aus dieser Zeit.

Fleisch gab es längst nicht mehr. Doch das unerschütterliche „Deutsche Beefsteak“ tat wenigstens, als ob. Und machte satt. Außerdem gab der Klops Hoffnung, anders als die dünne Suppe: Hoffnung und Versprechen auf bessere Tage, an denen der Bratling nicht mehr aus Fake, sondern aus Fleisch besteht.

Wer überlebte und auch den allfälligen Vitaminmangel überstand, ernährte sich allerdings –verhältnismäßig – gesund. Zumindest in Bezug auf die modernen, von zu viel Fett und Zucker hervorgerufenen „Zivilisationskrankheiten“. Doch die vierziger Jahre, mit ihren Hamsterfahrten und seltenen Carepaketen, den enormen Schwarzmarktpreisen für heute simpel-alltägliche Genüsse wirken auch anders noch fort: Auf Qualität, gar auf Geschmack, das hat sich beim deutschen Esser eingeprägt, kommt es eigentlich gar nicht so sehr an. Es gilt: „Hauptsache, satt!“ Und: Fleisch ist ein Stück Lebenskraft.