Für eine schöne Sommerreligion

DAS SCHLAGLOCH von KERSTIN DECKER

Das Papsttum ist nichts anderes als der Geist des toten Römischen Reiches

Nun ist es genug. Ab morgen muss jeder, der noch etwas über den Papst schreiben oder sagen will, eine Gebühr zahlen. Die Papa-Taxe. Man könnte damit akut bedrohte religiöse Minderheiten unterstützen, etwa die Atheisten. Früher waren unter den Päpsten auch viele Atheisten, ganz hervorragende Atheisten sogar, immerhin stammt das römische Papsttum direkt vom römischen Kaisertum ab, man sieht es seiner Hofhaltung noch heute an.

Pontifex Maximus ist auch kein so ganz christlicher Titel, sondern der der römischen Kaiser. Wer unter den Zwanzigjährigen denkt, das kommt alles direkt von der Urkirche, der Papst, der Petersplatz und alles drum herum – stimmt gar nicht. Die Urkirche sah ungefähr so aus wie in Monty Pythons „Das Leben des Brian“, wo die jüdäische Befreiungsfront immerzu gegen die Befreiungsfront Judäas kämpft. Und man konnte es den Römern wirklich nicht übel nehmen, dass sie sich für die vielen vorderasiatischen Messiasse, die auftauchten und wieder verschwanden, nicht besonders interessierten.

Dass wir schon seit Wochen auf den Titelseiten nichts anderes sehen als alte Männer in bunten Trachten, liegt daran, dass Kaiser Konstantin einst die Lepra bekam und seine Mitrömer ihm nahe legten, zur Heilung ein Bad im Blute frisch geschlachteter Kinder zu nehmen. Aber die weinten, als sie an der Hand ihrer Mütter noch lebendig (wegen der Frische) zum Kaiser kamen, und Konstantin nahm von seinem Badezusatz Abstand und hatte großes Mitleid – und immer noch Lepra. Da träumte ihm, Papst Sylvester würde ihn heilen. Also suchte der Kaiser Sylvester, der sich gerade in den Bergen versteckt hatte. Und die Lepra ging weg. So weiß es die Urkunde der Konstantinischen Schenkung vom 30. März 315, die nur einen Fehler hat: Sie ist eine Fälschung.

Egal. Rom jedenfalls sieht fast gar nicht nach der Urkirche, sondern viel mehr nach römischem Kaisertum aus. Und auch wenn Papa Ratzi ein perfektes, leicht moshämmerndes Latein spricht – Jesus konnte überhaupt kein Latein. Warum reden die in Rom also immer Latein? Damit Jesus sie nicht verstehen kann?

Dass Rom so ziemlich der gottfernste Punkt des Universums war, wusste nicht erst Luther. Damals haben die gerade Sankt Peter gebaut von den ganzen erlassenen Höllenstrafen der Bauern Europas. Es waren schon vorher hervorragende Kriegsherren unter den Päpsten. Und Mörder. Und große Liebhaber, gegen die Casanova ein Anfänger war. Und die Renaissancepäpste erst!

Aber so geht das nicht. Das klingt jetzt so nachtragend. Fast wie das Feuilleton der Süddeutschen Zeitung, wo die Intellektuellen am Tag nach der Papstwahl alle sagen durften, was sie vom neuen Benedikt halten, und sie sagten: „Ein deutscher Papst – das hat uns gerade noch gefehlt.“ Oder: „Ratzinger – ein gieriges Gesicht. (…) Ein Unfall, ein Rückfall, eine Absage an die Freiheit des Denkens und des Lebens.“ Und so weiter. Das ist es eben, was man den Intellektuellen vorwerfen muss. Sie finden nie etwas gut. Die Intellektuellen (außer Rüdiger Safranski) sind immer dagegen – intellektuell sein, ist dagegen sein –, ja bekommt man da nicht Lust, mal wieder richtig dafür zu sein? So wie der Papst für den Glauben. Das ist der tiefere Grund, warum die Intellektuellen irgendwie out sind und Päpste in sind.

Andererseits ist Papa Ratzis Bayerisch eine Täuschung, er ist selbst ein Intellektueller. Sogar ein Oberintellektueller, also intellektuell und doch dafür. Sogar Uta Ranke-Heinemann, die findet, dass Dummheit noch viel schlimmer ist als Laster, hat über Ratzinger gesagt: Dumm ist der nicht! So etwas sagt die Kritikerin der Jungfrauengeburt nicht oft. Und sie muss das wissen, denn sie hat mit Ratzinger zusammen studiert. Er ist der Einzige in Rom, der ihr noch die Hand gibt, hat sie gesagt. Das ist doch sympathisch. Wenige haben Nietzsche so verstanden wie Ratzinger. „Nietzsche ist tot. Gott.“ Schade, die beiden hätten sich gut unterhalten können.

Hobbes hatte Recht. Das Papsttum ist nichts anderes als der Geist des toten Römischen Reiches, auf dessen Grab es gekrönt sitzt. Und irgendwie war es doch hübsch anzuschauen, wie all die Jetztzeit-Staatsmänner den beiden Geistern auf dem Grab die Ehre erwiesen. Dem einen die letzte und dem anderen die erste. Es kommt darauf an, das alles positiv zu sehen. Wie viele Einrichtungen haben wir denn noch, die direkt aus dem alten Rom hinauf bis zu uns reichen? Und wo sonst kann man mit fast 80 Jahren noch Karriere machen?

Natürlich war das Papsttum nicht immer eine Angelegenheit der alten Männer. Im ersten Jahrtausend konnten sogar Minderjährige Papst werden. Bedauerlicherweise sind die Päpste damals oft ermordet worden, so dass sie auch keine großen Chancen hatten, viel älter zu werden. Und das widerspricht dem menschlichen Bedürfnis nach Dauer. Oder wie der Papst (oder Safranski) sagen würde, es widerspricht unserer Suche nach einer Wahrheit, die über die eigene Erfahrung hinausgeht.

Das ist ein tief dämonischer Satz. Wer sich nicht von ihm gemeint fühlt, kann sich immer wieder taufen lassen, er wird doch nie erfahren, was Religiosität ist.

Aber es ist nicht wahr, dass der Papst altmodisch ist. Schließlich heißt die Behörde, der er bis eben vorstand und die noch im 19. Jahrhundert Kants „Kritik der reinen Vernunft“ auf den Index setzte, nicht mehr Heilige Inquisition, sondern Kongregation für Glaubensfragen. Jeder verfestigte Glaube, also jede Kirche, ist dämonisch. Schon weil sie als endliche Institution im Namen des Unendlichen spricht. Sie hat nur ein Problem. Entweder sie ist ein wirklicher Dämon, dann lebt sie. Nimmt sie als Dämon keiner mehr für voll, stirbt sie. So wie die evangelische Kirche, die große Untote unserer Tage. Undämonischer kann man nicht sein. Irgendwie hatte man doch mit einer gewissen protestantischen Papst-Resistenz gerechnet. Schließlich ist der Abschied vom Papsttum die protestantische Geburtsurkunde. Aber es gibt nichts Merkwürdigeres als unsere Protestanten.

Dass Rom so ziemlich der gottfernste Punkt des Universums war, wusste nicht erst Luther

Im Sommer laufen sie durch die italienischen Kirchen und es geht ihnen überhaupt nicht wie Heine, als er zum ersten Mal in Italien war. Der Katholizismus, erkannte Heine sofort, ist eine gute Sommerreligion. „Wahrlich, ein solcher Dom mit seinem gedämpften Lichte und seiner wehenden Kühle ist ein angenehmer Aufenthalt, wenn draußen greller Sonnenschein und drückende Hitze. Davon hat man gar keinen Begriff in unserem protestantischen Norddeutschland, wo die Kirchen nicht so komfortabel gebaut sind und das Licht frech durch die unbemalten Vernunftscheiben hineinschießt und selbst die kühlen Predigten vor der Hitze nicht genug schützen.“

Und dann stehen sie vor den Renaissancebildern in den italienischen Kirchen und bewundern die tiefe Gläubigkeit darin und sehen nicht, dass das gar keine religiöse Kunst ist, sondern ganz und gar säkulare Malerei, eine einzige Feier des Irdischen, erprobt am religiösen Gegenstand.

Nur das Papsttum passt nicht mehr recht zu seinen Bildern. Früher konnten sich die Atheisten immerhin auf die Päpste verlassen. Das ist vorbei. Höchste Zeit für die Papa-Taxe.