Noch lange kein Weg in die Freiheit

JUSTIZ Drei Häftlinge wollten aus dem Gefängnis fliehen – gestern wurden ihre Strafen verlängert

„Sie haben viel Glück gehabt, dass die Sache nicht aus dem Ruder gelaufen ist“

RICHTER GEORG PLÜÜR

Was sie gemacht hätte, wenn sie aus der Justizvollzugsanstalt Lichtenberg den Weg in die Freiheit gefunden hätte, will die Staatsanwältin von Tina Z. wissen. „Ick wär bestimmt irgendwo Drogen holen gegangen“, sagt die 20-jährige Angeklagte. „Danach keene Ahnung.“ Keine Ahnung hatten sie und ihre Mitgefangenen Kübra B. (23) sowie Franziska R. (20) auch davon, wie sie trotz des Anstaltsschlüssels in der Hand den Weg ins Freie finden sollten. Heulend vor Verzweiflung brachen die drei Drogensüchtigen und mehrfach Vorbestraften ihr Unternehmen ab. Gestern nun erhöhte das Amtsgericht Tiergarten die zu verbüßende Haft von Tina Z. und Kübra B. aufgrund von Beschaffungskriminalität wegen dieser Aktion um sechs und acht Monate. Der Prozess gegen Franziska R. findet gesondert statt.

Alle drei Monate gibt es in der JVA Lichtenberg eine Kulturveranstaltung: Kino oder Breakdance zum Beispiel, im April 2011 war es eine Disko. Mit der Veranstaltung war ein externes Unternehmen betraut, vor Ort kümmerte sich die Medienpädagogin Nadine K. um die Organisation. Die dachte, es werde ein persönliches Gespräch gewünscht, als das Trio sie in einen Vorraum winkte.

Sie nahmen eine Geisel

Stattdessen versperrten ihr die Häftlinge den Rückweg. Mit einem Besen in der Hand und drohenden Worten offenbarten sie Nadine K. ihren Wunsch nach Freiheit. „Ich habe versucht, sie davon zu überzeugen, dass das nicht möglich sein wird“, erinnert sich die 36-jährige Zeugin. Andererseits habe sie auch signalisiert, „dass ich mich nicht wehre, wenn sie mir den Schlüssel wegnehmen“.

So geschah es auch. Innerhalb einer knappen halben Stunde durchstreiften zwei der Inhaftierten dreimal die Flure. Unterdessen sprach ihre Geisel mit der Dritten, ihrer Bewacherin: Sie sollen die Schlüssel zurückgeben, es sei ja noch nichts passiert, sie würde das Ganze auch nicht anzeigen. „Irgendwann sind sie darauf eingegangen“, so die Zeugin, die sich zwei Tage später dennoch entschloss, den Anstaltsleiter zu informieren.

Danach durfte sie ihrer Arbeit nicht mehr nachgehen: „Aus Sicherheitsgründen – mir hätte was passieren können.“ Vor diesem Vorfall muss man darauf weniger geachtet haben: Die Geiselnahme habe sie kalt erwischt, sagt Nadine K. „Ich war noch nie in so einer Situation und wurde auch nicht darauf vorbereitet.“ Noch heute nehme sie therapeutische Hilfe in Anspruch.

Es tut ihnen ernsthaft leid

Den beiden Angeklagten tut das Ganze ernsthaft leid: Immer wieder entschuldigen sich Tina Z. und Kübra B. bei der jungen Frau: „Ich möchte, dass Sie wissen, dass es nichts mit Ihnen persönlich zu tun hat“, hört sie, und: „Wir haben über die Auswirkungen nicht nachgedacht.“

Beide Frauen haben ein ziemlich volles Vorstrafenregister – Kübra B. zählt sogar zu den wenigen weiblichen Intensivtäterinnen der Stadt. Beide streben nun eine Therapie an. Sollten sie die durchstehen, wird ihnen diese Zeit von der noch zu verbüßenden Strafe abgezogen. „Sie haben ganz schön viel Glück gehabt, dass die Sache nicht aus dem Ruder gelaufen ist“, sagt Richter Georg Plüür.

Sie hätten außerdem auch Glück gehabt, dass die Juristen das Ganze nur als „Nötigung“ und nicht als „Freiheitsberaubung“ oder sogar „Geiselnahme“ einstuften, da man das Opfer nicht in einen abgeschlossenen Raum gesperrt hätte. „Das ist Ihre letzte Chance“, sagt der Richter zu den Frauen. UTA EISENHARDT