Keine Atempause für Europa

Donnerstag treffen sich Länderchefs mit dem Kanzler, um ihm für eine Zustimmung zur EU-Verfassung mehr Mitspracherechte abzuhandeln. SPD-Europapolitiker: Auch linksliberale Kritiker sollten „nicht immer erst kommen, wenn die Messe gelesen ist“

VON ULRIKE WINKELMANN

Auch ein lodernder Europa-Fan ist bisweilen nicht ganz frei von Skepsis. „Die Idee der europäischen Integration hat gerade keine Hochzeit erreicht“, sagt Michel Roth von der SPD-Bundestagsfraktion etwas zerknirscht.

Kurz vor der Abstimmung von Bundestag und Bundesrat über die EU-Verfassung verbreitet sich in Deutschland eine Europa-Unfreundlichkeit, die Roth so beschreibt: „Die einen verlieren ihren heißgeliebten Nationalstaat und wähnen überall Brüsseler Bürokraten. Bei den anderen wachsen Befürchtungen gegenüber dem neoliberalen Zeitgeist.“

Was die Erstgenannten angeht: Gestern traf die Klage des CSU-Abgeordneten Peter Gauweiler am Bundesverfassungsgericht ein. Gauweiler verlangt auf 277 Seiten, dass Karlsruhe die Abstimmung im Bundestag am 12. Mai stoppe. Sein Kernpunkt ist, dass durch die EU-Verfassung die deutschen Parlamente geschwächt werden. Unterstützung erhält Gauweiler von rund 20 weiteren Abgeordneten.

Sie alle werden jedoch die Abstimmung im Bundestag nach einer voraussichtlichen Ablehnung der Klage nicht gefährden. Denn hier steht die notwendige Zweidrittelmehrheit. Interessant ist vielmehr, was im Bundesrat geschieht. Der soll nach bisheriger Planung am 27. Mai abstimmen und so den nach wie vor verfassungskritischen Franzosen einen Schubs für ihre Volksabstimmung am 29. Mai geben.

Im Bundesrat wollen die Unionsländer nach alter Gewohnheit den Preis für ihre Zustimmung in die Höhe treiben. Namentlich Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU) verlangt mehr Mitspracherechte und soll sogar gedroht haben, die Wiederbelebung der Föderalismuskommission mit dem Europathema zu befrachten. Am Donnerstag werden Stoiber und seine Länderchef-Kollegen aus Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Berlin, Günther Oettinger (CDU), Kurt Beck (SPD) und Klaus Wowereit (SPD), zur Verhandlung beim Kanzler erwartet.

Doch selbst wenn es der Bundesregierung gelingt, die Zustimmung zur EU-Verfassung durch die deutschen Verfassungsorgane zu sichern – sie wird die Ängste vor der EU ab jetzt ernster nehmen müssen. Die von SPD-Chef Franz Müntefering eröffnete kleine Volksschule in Kapitalismuskritik hat auch in den rot-grünen Reihen die Vorbehalte etwa gegenüber der europäischen Dienstleistungsfreiheit wieder bestärkt.

Europapolitiker Michel Roth sieht gerade im Kampf um die Dienstleistungsrichtlinie jedoch ein ermutigendes Beispiel für eine sozialstaatliche Auseinandersetzung mit Europa: „Das ist doch gut gelaufen. Es gab Kritik – und es gibt Zeit genug, die Richtlinie zu verändern.“ Bislang seien linksliberale Einwände „immer erst gekommen, wenn die Messe fast fertig gelesen ist.“

Auch Roth sieht gute Gründe für eine gewisse „Europamüdigkeit“: Euro, Osterweiterung, Überforderung durch komplexe Brüsseler Entscheidungswege. „Eigentlich bräuchte Europa eine richtige Atempause“, sagt er. „Aber leider folgt die Geschichte nicht pädagogischen Lehrbüchern.“ Die Lösung könne nur sein: Geschichte mit machen.