: „Wir müssen Abschied vom Wachstum nehmen“
Der Ökonom Hans Diefenbacher kann sich gut die „Halbtagsgesellschaft“ vorstellen – bei einem Grundeinkommen für alle
taz: Herr Diefenbacher, die Forschungsinstitute haben erneut ihre Prognosen für das deutsche Wirtschaftswachstum gesenkt. Haben wir die Grenzen des Wachstums erreicht?
Hans Diefenbacher: Nun, sie sind zumindest in Sicht. Die Wirtschaft der Bundesrepublik ist zwischen 1950 und 1972 um das Siebenfache und seit 1972 noch einmal um das Doppelte gewachsen. Deshalb wird es immer schwerer, hohe Wachstumsraten zu erreichen.
Aber brauchen wir die nicht, um neue Arbeitsplätze zu schaffen?
Das ist die magische Verheißung der Politik. Doch wir werden von dem Modell Abschied nehmen müssen, das sich nur an Wachstumsziffern herkömmlicher Art orientiert. Es gibt andere Kriterien des Erfolges.
Welche?
Eine Wirtschaft kann langfristig nur existieren, wenn sie sich an zwei Kriterien orientiert: Nachhaltigkeit und schonender Umgang mit Ressourcen. Diese Vorgaben würden in einigen Wirtschaftsbereichen für Wachstum sorgen, in anderen hingegen für Schrumpfung. Ob netto dann ein Plus beim Bruttoinlandsprodukt steht, ist zweitrangig.
Aber wohl kaum für die fünf Millionen Arbeitslosen, oder?
Die Arbeitslosigkeit ist ohne Frage ein großes Problem. Aber es gibt auch dafür Lösungsvorschläge: zum Beispiel, dass wir alle nur noch halbtags arbeiten würden – ohne Lohnausgleich. Dann wäre Arbeitslosigkeit kein Problem mehr.
… aber dann würde das Einkommen zum Problem werden.
Die „Halbtagsgesellschaft“ ist ein Modell von vielen, sicher kein Patentrezept. Aber die Frage muss erlaubt sein, ob denn das monatliche Budget nur aus Erwerbseinkommen zu bestehen hat. Was ist mit anderen Formen des wirtschaftlichen Austausches, etwa Nachbarschaftshilfe und Ehrenamt? Solche grundlegenden Fragen müssen wir uns stellen.
Derartige Modelle würden sich aber umgehend auf das Sozialsystem auswirken. Schließlich basiert etwa die Rentenversicherung auf einer möglichst hohen Zahl von Arbeitnehmern, die Beiträge zahlen.
Unser Bruttonationaleinkommen ist – in Zahlen ausgedrückt – höher als je zuvor. Wir müssten also einen Verteilungsspielraum haben, der ein Grundeinkommen für alle ermöglicht, auch wenn man davon nicht üppig leben kann.
Wer soll das bezahlen? Der Staat ist ja schon verschuldet.
Die Steuereinnahmen in der jetzigen Höhe würden ausreichen. Gängige Berechnungen gehen davon aus, dass man dafür etwa ein Drittel des Bruttosozialproduktes benötigt. Ich gebe aber zu, so ein Vorschlag ist derzeit nicht durchsetzbar. Wichtig ist aber, dass wir beginnen, unsere Wirtschaft auch an anderen Kriterien zu messen als an der Wachstumsrate des Bruttoinlandsprodukts.
Es gibt Volkswirtschaften, die wachsen – in Asien, auch in Europa. Sind das nicht Gegenbelege für Ihre These?
Wenn wir nicht von dem theoretischen Modell ausgehen, dass wir einen zweiten oder dritten Planeten für Rohstoffe und Abfallentsorgung haben, können Wachstumsraten von fünf bis fünfzehn Prozent nur eine Übergangsphase sein. Was da in China oder Osteuropa passiert, kann man als nachholendes Wachstum bezeichnen. Dort orientiert man sich jetzt am westlichen Konsummodell. Aber als alte Industrienation sollten wir beginnen, die Grenzen des Wachstums zu sehen und diesen Gedanken in die Diskussion zu bringen. Das wird umso mühevoller, je länger wir sie hinauszögern – und zugleich umso dringender.INTERVIEW: STEPHAN KOSCH