Jetzt oppositiv denken

Platzwechsel in Kiel: Mit dem Abschied von Heide Simonis ist gestern eine große Ära zu Ende gegangen, dafür gibt es jetzt im Landtag die große Koalition. Peter Harry Carstensen trägt dabei „den Wert des Parlaments im Herzen“

Blumen, Beifall, Dankesworte: Heide Simonis sprach ein letztes Mal vor dem Parlament in Kiel, dem sie über 17 Jahre lang angehört hatte. „Erfolgreiche Jahre“ seien es gewesen, sagte sie und nannte etwa den Wandel des Landes von „Schläfrig-Holstein“ zum Standort moderner Unternehmen. Ihrem Nachfolger wünschte sie viel Freude, den Grünen wollte sie „die Daumen drücken“. Ein Buch über ihr Ferienziel Toskana und ein Modell der „Gorch Fock“ überreichte Landtagspräsident Martin Kayenburg (CDU), dann ging Simonis, um die Staatskanzlei auf die Übergabe vorzubereiten.

Das Ende der Ära Simonis ist der Anfang der großen Koalition. Keine Liebesheirat, vor allem nicht von Seiten der SPD. Aber die Partei hat sich seufzend auf „Muss ja“ geeinigt, um Schlimmeres zu verhindern. So fehlten dem Ministerpräsidenten Peter Harry Carstensen nur fünf Stimmen aus dem eigenen Lager: 54 der 69 Abgeordneten wählten ihn. Die FDP hatte mitgeteilt, sie werde sich enthalten, SSW und Grüne stimmten dagegen.

Für die Grünen und den SSW war der gestrige Tag bitter: Am 17. März waren sie als Mitregenten in den Landtag eingezogen, jetzt finden sie sich in der Opposition wieder. Die Grünen geben sich kämpferisch und bieten sich als Auffangbecken für enttäuschte SPD-Mitglieder an. „Oppositiv denken“, lautet das Motto – aber richtig froh sahen die vier Bündnisgrünen nicht aus.

Abgestraft wurde die Minderheitsvertretung SSW: Das Grundmandat, das ihnen Stimmrecht in den Ausschüssen geben sollte, wurde ihnen gestern wieder entzogen. Das erleichtere dem SSW die Arbeit, meinte Monika Schwalm (CDU), und der SPD-Mann Holger Astrup erklärte, die Basis für die Änderung sei entfallen. Das sei nicht so, erklärte Monika Heinold (Grüne). Denn wenn die Ausschüsse das Parlament widerspiegeln sollen, müsse der SSW Stimmrecht haben. Wolfgang Kubicki (FDP) höhnte, die große Koalition habe so viel Angst vor Abweichlern, dass sie ihre Mehrheit sichern wolle: „Es wäre ein Zeichen von Größe gewesen, dem SSW das Mandat zu lassen.“

Ähnlich sah das SSW-Spitzenfrau Anke Spoorendonk vor der Aussprache: „Kleinkariert.“ Im Plenum war sie moderater: „Das Leben ist zu kurz für Geschäftsordnungsdebatten.“ Genau darum aber ging es: Wie sich das Parlament, wie sich die Opposition gegen die übermächtige Regierung aufstellt. Nicht einträchtig zumindest: So konnten Grüne und FDP das „Patt im Watt“ (Kubicki) nicht auflösen: die Frage, wer den Oppositionsführer stellt. „Wie selbstverständlich“ sei die FDP davon ausgegangen, den Posten zu bekommen, erklärte Kubicki: Schließlich hatte sie bei der Wahl ein paar Promille mehr geschafft als die Grünen. Die Bündnisgrüne Anne Lütkes erklärte, eben darum gehe es nicht: Jeder Abgeordnete sei gleich viel wert. Jetzt muss der Rechtsausschuss entscheiden – und vielleicht am Ende das Los.

Ein Symptom für den neuen Stil des Hauses? Ministerpräsident Carstensen hatte angekündigt, den Landtag intensiv in die Arbeit der Regierung einbeziehen zu wollen. Als langjähriger Abgeordneter trage er „den Wert des Parlaments im Herzen“. Esther Geißlinger